Unternehmen müssen heute schneller und dynamischer denn je mit neuen Ideen auf das sich ändernde Umfeld reagieren können. Uns allen wird dies gerade während der Corona-Pandemie besonders vor Augen geführt. Sogenannte „agile“ Methoden zur Ideenfindung, die den neuen Anforderungen besser gerecht werden, werden daher immer populärer. Einige dieser Tools stelle ich Ihnen nachfolgend vor.
Häufig wurde in der Vergangenheit – und das auch schon vor Corona – davon gesprochen, dass sich Unternehmen in einem disruptiven Spannungsfeld [1] befinden. Dieses Feld ist geprägt von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, wofür häufig das englische Akronym VUCA bemüht wird [2]. Das bedeutet, dass Unternehmen sich häufig sehr schnell mit neuen Konzepten und Rahmenbedingungen für den Umgang mit dem Unvorhersehbaren und sich schnell ändernden Situationen auseinandersetzen müssen [1]. Diese Entwicklung führt zu einer hohen Veränderungsgeschwindigkeit. Zudem wird oft behauptet, dass inkrementelle Veränderungen, d. h. Weiterentwicklungslösungen, nicht mehr ausreichen [3]. Der Wunsch nach radikalen Innovationen, d. h. völlig neuen Ideen für neue Produkte, nimmt zu. Dies stellt auch an die Ideenfindung neue Anforderungen. Häufig wird der Ruf laut nach einer „agilen Ideenfindung“. Doch was genau bedeutet agil in diesem Zusammenhang?
Sie kennen den Begriff agil sicher unter der Bedeutung „beweglich“, „geschäftig“ oder vielleicht auch „geschickt“. Der Ursprung agiler Methoden liegt eigentlich in der Softwareentwicklung [4]. Die so bezeichnete agile Softwareentwicklung hat sich -Anfang der 2000er Jahre entwickelt. Das Buch „Extreme Programmierung“ des Informatikers Kent Beck bildete die theoretische Grundlage für die Beschreibung agiler Prozesse. 2001 wurden in einem „Agilen Manifest“ die Grundprinzipien der agilen Softwareentwicklung festgehalten, die sich von damals üblichen Vorgehensweisen unterschied.
So wurden beispielsweise der Nutzer und die Softwarefunktionalität ins Zentrum der Entwicklungsprozesse gestellt. Zudem bildete die ständige, iterative Veränderung des Produkts während der Entwicklung eine Kernstrategie agiler Herangehensweisen. [5]
Darüber hinaus stand die intensivere Zusammenarbeit der Entwickler inmitten eines motivierenden Arbeitsumfelds mit möglichst Face-to-Face-Kommunikation im Vordergrund. Zudem wurde ein perfektes Design mit Fokus auf Einfachheit der Produkte angestrebt. [5]
Durch zunehmende Dynamiken in anderen Branchen, u. a. der Hardwareentwicklung, gewinnen die Agilität und agile Methoden mittlerweile auch außerhalb der Softwareentwicklung immer mehr an Bedeutung und Beliebtheit [4].
Agilität ist ein wichtiger Bestandteil für erfolgreiche Unternehmen im 21. Jahrhundert. Agil sein meint einerseits reaktiv, flexibel und anpassungsfähig und andererseits proaktiv, initiativ und antizipativ zu handeln [6].
Mit der Zeit sind im Zusammenhang mit der zunehmend agileren Gestaltung von Entwicklungs- und Unternehmensprozessen Methoden und sogar ganze Frameworks entstanden, die aus einzelnen agilen Praktiken kombiniert wurden. Beispiele hierfür sind Scrum, Lean Startup, Design Thinking oder Extreme Programming. [4]
Die Abb. 1 stellt zum besseren Vergleich die Unterschiede zwischen agilen Methoden und typischen klassischen Methoden oder Herangehensweisen gegenüber, wie sie noch vielfach in Unternehmen verbreitet sind. Im Gegensatz zum sequenziellen Vorgehen und einer späten Kundeneinbindung setzen agile Methoden auf Iteration und Einbindung des Kunden bzw. Nutzers während des gesamten Entwicklungsprozesses. Änderungen von Anforderungen während der Entwicklung sind umsetzbar oder sogar eingeplant, da die Anforderungsfestsetzung fortwährend geschieht und nicht mit einem eingefrorenen Lastenheft zum Entwicklungsstart beginnt. Das Team hat einen klaren Fokus auf das eine Projekt und arbeitet sehr stark Kundenproblem-orientiert.
Einer der außerhalb der Softwareentwicklung bekanntesten Ansätze lautet Design Thinking. Dabei ist „Design Thinking“ nicht so theoretisch zu verstehen, wie die Übersetzung des Namens – „Entwicklungsdenken“ – vermuten lässt. Es geht nicht nur um das Denken, sondern vor allem um das schnelle, agile Umsetzen. Design Thinking arbeitet dabei vor allem mit zwei zentralen Grundsätzen: „Nicht reden, sondern tun“ und „Je schneller wir scheitern, umso besser“ [7]. Die Aufmerksamkeit für Design Thinking ist gerade in den letzten Jahren stark gestiegen [8; 9]. Zahlreiche positive Berichte in Literatur und Presse zur erfolgreichen Anwendung von Design Thinking haben die Nachfrage und das Interesse an dem Thema enorm verstärkt [10; 11]. In der Fachliteratur wird Design Thinking häufig unterschiedlich verstanden: Hier wird von einem Entwicklungsprozess gesprochen, dort von einer Art Toolbox mit vielen Einzelmethoden oder sogar von einem Mindset, d. h. einer speziellen Denkweise [12].
Der heutige Design Thinking-Prozess basiert historisch auf der Methodik, die die Designagentur Ideo seit den 80er Jahren zur Lösung von Problemen anwendet. Diese Probleme betreffen nicht nur die Produktentwicklung, sondern sind sehr vielfältiger Natur [13]. So ist mir die Anwendung von Design Thinking in teilweise grundverschiedenen Feldern untergekommen, z. B. als Methode zur Verbesserung von Verwaltungsvorgängen, zur „Kundengewinnung“ in Kirchengemeinden, zur Verbesserung von Abläufen beim Militär oder der Verbesserung des Einkauferlebnisses im örtlichen Supermarkt. Häufig kommt Design Thinking dann zum Einsatz, wenn die Anforderungen an eine Lösung noch unbekannt sind und die Technologie für eine mögliche Lösung ebenfalls noch nicht vorliegt. Dann spricht man von einer chaotischen oder zumindest sehr komplexen Ausgangssituation (vgl. Stacey Diagramm, Abb. 2).
Abb. 2: Einordnung von Design Thinking in das Stacey Diagramm [26]
Der während der Anwendung von Design Thinking zu durchlaufende Prozess ist – wie für agile Herangehensweisen üblich – nicht sequenziell und strikt linear, sondern kann je nach Anwendung dynamisch und iterativ verlaufen. Die einzelnen Prozessschritte sind in der Fachliteratur auch nicht einheitlich benannt, sind aber inhaltlich nahezu identisch und verweisen auf ein ähnliches Vorgehen [vgl. 14, 15, 16]. Diesem liegt meist der Weg vom Abstrakten zum Konkreten zugrunde. Prinzipiell beinhaltet der Prozess eine breite Analyse der möglichen Bedürfnisse und Probleme mit einer anschließenden Problemformulierung. Aufbauend auf der Aufgabenstellung werden Ideen generiert und mit Hilfe von ersten Prototypen sowie Tests bewertet [16].
In Abb. 3 ist beispielhaft ein sechsstufiger Design Thinking Prozess dargestellt. Wichtig ist die Trennung von der vorgelagerten Problemidentifikation bzw. -analyse (Schritte 1 bis 3) und einer nachgelagerten Problemlösungsphase (Schritte 4 bis 6). Bereits die strikte Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Problem unterstützt die anschließende Lösungsfindung. Allerdings habe ich die Erfahrung gemacht, dass gerade Ingenieuren und Technikern diese erste Phase besonders schwerfällt, da diese Personengruppen in der Regel – häufig aufgrund ihrer Ausbildung – eine sehr lösungsorientierte Denkweise an den Tag legen.
Abb. 3: Iterative Vorgehensweise des Design Thinking Prozesses [17]
Grundlage für den Prozess ist eine inspirierende Fragestellung. Dies ist besonders wichtig, um eine möglichst zielführende Ideenfindung anstoßen zu können. Der Lösungsraum sollte dabei nicht zu groß, aber auch nicht zu klein gesteckt sein. Bei zu großem Lösungsraum besteht die Gefahr, dass das Problem nicht konkret genug fokussiert werden kann. Hingegen ist bei einem zu kleinen Lösungsraum die kreative Ideenfindung bereits durch existierende Lösungen stark eingeschränkt, was mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu einer Innovation, sondern lediglich zu einer Optimierung führt. [18]
Verstehen
Die erste echte Phase des Design Thinking Prozesses ist die des Verstehens. Hier geht es primär um eine intensive Problemidentifizierung der zuvor definierten Fragestellung. Ziel der ersten Phase ist es, das gesamte Team auf einen gemeinsamen, fundierten Wissensstand zu bringen, um möglichst viele Informationen im vorgegebenen Problemfeld zu erhalten. Dazu ist eine unvoreingenommene und breite Recherche notwendig. [18]
Beobachten
Nach der ersten Phase folgt die des Beobachtens. Diese wird angewendet, um sich aus verschiedenen Blickwinkeln gezielt in den potenziellen Nutzer hineinzuversetzen. Dabei steht jedoch nicht nur der aktuelle Kunde des Produkts oder der Dienstleistung im Fokus, sondern vielmehr auch der Nicht-Kunde, der das Produkt nicht verwendet oder gar ablehnt. Ein vielseitiger Informations- und Inspirationserwerb, der durch Einbezug von Extremnutzern oder eben Nutzungsverweigerern erfolgt, ist das Ziel. Die Beobachtung erfolgt direkt im Umfeld der Anwendung und soll zu einem gezielten Austausch mit dem Nutzer führen. Dadurch wird gegenüber dem Produkt und Kunden eine Empathie aufgebaut, die weitestgehend durch die Anwendung im Alltag hervorgerufen werden kann. Eine weitere Herangehensweise, um eine tiefe Empathie gegenüber den Kundenbedürfnissen aufbauen zu können, bietet die Möglichkeit des Erstellens einer idealtypischen, fiktiven Person. Für diese sogenannte „Persona“ werden möglichst alle Bedürfnisse der Nutzer in einem potenziellen Kunden zusammengefasst. [19]
Sichtweise definieren
Im nächsten Prozessschritt – dem aus meiner Sicht schwierigsten – definiert das Design Thinking Team einen gemeinsamen Standpunkt, der aus den Erkenntnissen der Beobachtung gewonnen wurde. Dabei werden die visualisierten Informationen und Eindrücke sowie die (unerwarteten) Vorkommnisse der Beobachtungsphase im Team gesammelt [19]. Dabei ist darauf zu achten, dass mögliche Lösungen noch nicht betrachtet, sondern vielmehr die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzer identifiziert werden [20]. Um eine einheitliche Wissensbasis zu erlangen, werden die Erkenntnisse vom Team ausgewertet, interpretiert und anschließend gewichtet. Auch kann hier erst die Erstellung oder eine Anpassung der zuvor erwähnten Persona erfolgen. Aus den gesammelten und interpretierten Informationen folgt dann die Fokussierung auf ein zu lösendes Problem, das die größte Wichtigkeit aufweist. [19]
Ideen finden
Die vierte Phase des Design Thinking Prozesses befasst sich mit der Ideenfindung. Hier liegt der Fokus darauf, möglichst viele Ideen in einer kurzen Zeitperiode zu generieren. Um eine effektive Lösungsfindung zu gewährleisten, ist es besonders wichtig, jegliche Kritik an den eingebrachten Lösungsvorschlägen zu vermeiden. So wird verhindert, dass nützliche Ideen womöglich frühzeitig außer Acht gelassen und nicht weiter betrachtet werden [22]. Die Bewertung findet erst im zweiten Teil der Ideenfindung statt, wobei die besten Ideen vom Team ausgewählt und eventuell noch angepasst werden [23]. Die Vorschläge werden dazu durch kleine Skizzen visualisiert, um dadurch besser und schneller ein gesamtes Ideenkonzept vorlegen zu können [23].
Prototypen entwickeln
Um die Entscheidungsgrundlage der Ideenfindung im Team noch tiefgehender diskutieren und bewerten zu können, werden in dieser Phase erste Prototypen erstellt [19]. Dabei werden die Prototypen auf deren Umsetzbarkeit geprüft und sind daher auch direkt vergleichbar [22]. Die Ausarbeitung der Prototypen bietet einen großen Spielraum: So eignen sich zum Beispiel Papp-, Lego- oder Knetmodelle, Rollenspiele, Storytelling – aber auch vollständige Ausarbeitungen. [25]
Ziel der Prototypenentwicklung ist es, eine visuelle Grundlage zu schaffen, um in der nachgelagerten Testphase Vor- und Nachteile der Ideen aufzeigen zu können, Feedback von den Teammitgliedern zu erhalten und ihre Kreativität anzuregen [19].
Abb. 4: Beispiel für einfache Design Thinking Prototypen zu Problemstellung Hitze in nicht-klimatisierenden Räumen [27]
Testen
Die letzte Phase ist die Testphase, häufig auch Feedback- oder Lernphase genannt. [22]. Dabei wird neben dem Feedback der Teammitglieder primär nach dem der tatsächlichen Zielgruppe gefragt [19]: Das Überprüfen der Prototypen durch den Kunden führt schnell zu einer eindeutigen Einschätzung, ob es sinnvoll ist, diesen Weg weiter zu verfolgen oder ob eine Überarbeitung notwendig ist. Da Design Thinking ein iterativer Prozess ist, ist es durchaus sinnvoll, das erlangte Wissen sowie die Erfahrungen und Sichtweisen der Kunden nochmals zu hinterfragen und daraus gegebenenfalls neue Ideen zu generieren. [25] Generell ist diese letzte Phase von hoher Bedeutung, denn dadurch kann eingehend geprüft werden, ob das Erarbeitete tatsächlich mit dem Kundenwunsch übereinstimmt [22].
Losgelöst von Design Thinking gibt es noch eine Reihe weiterer agiler Methoden, auf die ich hier kurz eingehen möchte.
“Lean” (dt. „mager“, „schlank“) im Innovationskontext meint: Schnell und kostengünstig herausfinden, ob ein Produkt am Markt funktioniert. Das Konzept Lean Startup beschreibt einen effizienten Weg, eine Idee – besonders die eines Startups – zum Erfolg zu führen. Häufigste Ursachen für das Scheitern von Startups ist das unzureichende Interesse des Marktes am zu kaufenden Produkt bzw. ein fehlender Produkt-Markt-Fit. Bei Existenzgründungen mit innovativen Geschäftsideen tritt dieses Problem leider regelmäßig auf, da es keine oder zumindest kaum Erfahrungswerte über den konkreten Bedarf der potenziellen Zielgruppe der Produktidee gibt. Häufig stellt sich dann nach langem Feilen an der Idee erst beim Produktlaunch heraus, dass am Markt keinerlei Bedarf an der Innovation besteht.
Bei der von Ries mitentwickelten Lean Startup Methode geht es darum, mit möglichst wenig Kapital und reduzierten Prozessen ein erfolgreiches Unternehmen oder einen Produkt-Launch zu starten [30]. Anstelle einer langen Konzeptentwicklung ist es das Ziel, so schnell wie möglich einen Prototyp oder eine Beta-Version eines Produkts auf den Markt zu bringen. Darüber hinaus soll der Produktzyklus möglichst klein gehalten werden, so dass mithilfe des Kundenfeedbacks schnell auf Wünsche oder Änderungen reagiert werden kann.
Auf Basis einer ersten Idee bietet sich zunächst die Entwicklung eines sogenannten Minimum Viable Products (MVP) an, auf Deutsch etwa „das mit minimalstem Aufwand realisierbare Produkt“. Beim MVP handelt es sich also um die einfachste Version der eigenen Innovation (“minimum”), die für potenzielle Kunden aber dennoch einen Mehrwert bietet – also „brauchbar” ist (engl. “viable”). Diese Form eines Prototyps hat also alle Eigenschaften, die nötig sind, die Kernidee erlebbar zu machen. Auf alle weiteren Eigenschaften wird verzichtet. Sollte sich aus dem Kundenfeedback ergeben, dass weitere Eigenschaften verlangt werden, fließen diese in den nächsten Zyklus des Prototyps ein. Wichtig ist, dass der Begriff „Prototyp“ als simpler Testballon verstanden wird. Im Ingenieurswesen wird der Prototyp dagegen eher als bereits voll funktionsfähiges Abbild des fertigen Produkts verstanden. So einfach das MVP zu Beginn auch sein mag – es muss sich einem Problem widmen, für dessen Lösung die Kunden mit hoher Wahrscheinlichkeit bereit sind, einen Betrag X zu bezahlen. Während der Testphasen wird deshalb sehr genau beobachtet, wie Kunden auf die Prototypen reagieren und welches Feedback sie hierzu geben. Die wichtigste Fragestellung nach dem Testen ist, ob eine grundsätzliche Richtungsänderung notwendig ist oder am vorhandenen Konzept weiter gefeilt werden soll. [28; 29; 30]
Eine recht einfache, aber im Zuge der agilen Ideenfindung umso effektivere Methode ist die “Kill your company“-Methode. Hier geht es darum, die folgende Frage zu beantworten: Wenn wir ein Startup wären, wie würden wir unser eigenes Unternehmen attackieren, um ihm Marktanteile abzujagen? Das spielerische Vorgehen im Rahmen dieser Methode ermöglicht es uns, zunächst alle Barrieren unseres eigenen Unternehmens auszublenden: Es gibt keine Politik, keine Compliance-Regeln, keine rechtlichen Hürden, keine Bedenkenträger. Die Frage kann durch diverse Unterfragen spezifiziert werden – je nachdem, welche Auswirkungen die VUCA-Veränderungen nach sich ziehen. Beispiele für Zusatzfragen könnten wie folgt lauten:
Am Ende geht es selbstverständlich darum, die Antworten auf diese Fragen auf das eigentliche Unternehmen zu übertragen. [31; 32]
Viele Unternehmen orientieren und messen sich am direkten Konkurrenten in einer Branche, kopieren Neuerungen und Innovationen. Dadurch stärken sie nicht etwa ihre Alleinstellungsmerkmale, sondern werden sich immer ähnlicher. Oft versuchen sie sich über den Preis zu differenzieren, gefährden sich dadurch aber in einem hohen Maße selbst – sie bewegen sich dann im sogenannten „roten Ozean“. Damit werden vorhandene Märkte bezeichnet, in denen die gesamte Energie darauf gerichtet ist, Konkurrenten zu schlagen und die bereits existierende Nachfrage zu nutzen. „Blaue Ozeane“ hingegen sind neue Märkte, die ein Unternehmen selbst schafft und in denen es noch keine oder kaum Konkurrenz gibt. Das Unternehmen weckt also eine neue Nachfrage. Kunden und Nicht-Kunden wird ein neuer Nutzen geboten, wodurch eine Differenzierung zum Wettbewerb entsteht. [32] Ich möchte an dieser Stelle nur auf die Grundidee der Blue-Ocean-Methode eingehen. Der Weg zur Blue-Ocean-Innovation kann beispielsweise auch über Design Thinking gelingen, indem die angedeuteten Grundüberlegungen der Blue-Ocean-Strategie dauerhaft beachtet bzw. angewandt werden.
In einer detaillierten Betrachtung kann mit einer User Journey bzw. Customer Journey analysiert bzw. entdeckt werden, wie sich ein Nutzer fühlt, wenn er ein Produkt benutzt oder wie er konkret durch einen Service geführt wird. Die Methode wird verwendet, um Daten über das Nutzerverhalten zu sammeln, aber auch, um eine Lösung später zu testen. Die “Journey“ bzw. Reise stellt die Nutzung eines Produkts bzw. einer Innovation dar – vom ersten Gedanken der Nutzung über die Vorbereitung die eigentliche Nutzung bis zur Nachbereitung (z. B. die Säuberung, das Aufräumen). Die Journey wird visuell schnell erfassbar dargestellt und zeigt neben Gemeinsamkeiten auch Unterschiede mehrerer Nutzer. Alle Informationen werden auf Post-its notiert. So bleibt die „Reise“ flexibel, Prozessreihenfolgen und Beziehungen können geändert werden. Wichtige Fragen könnten dabei sein:
Netnographie ist eine interpretative Methode zur Identifikation von Kundenbedürfnissen über soziale Medien. Entwickelt wurde sie in Anlehnung an Prinzipien der Ethnographie zur Erforschung von Verbraucherverhalten in Konsum(Sub)kulturen und -gemeinschaften im Internet. Damit spiegelt sie die Möglichkeiten und Herausforderungen für Forschung im digitalen Zeitalter wider. Netnographie ist im Wesentlichen eine schriftliche Dokumentation von Feldarbeit, deren Daten auf Online- bzw. computervermittelter Kommunikation beruhen. Die Daten sind hauptsächlich textlich, z. B. heruntergeladene Dokumente von News-Gruppen, Transkripte von textbasierten Chat-System, wie z. B. Foren und E-Mails. Netnographie wird häufig für folgende Forschungsziele verwendet:
Natürlich spielen hier die gängigen sozialen Netzwerke (z.B. Facebook, Instagram, Twitter, LinkedIn) eine tragende Rolle. Trends und aktuelle Themen können hierdurch analysiert werden, indem die Diskussions- oder Posting-Themen der Social Media-Nutzer gesammelt und analysiert werden. [33]
Darüber hinaus existieren noch viele weitere agile Methoden, die Ihnen helfen, auf innovative Art und Weise neue Ideen zu generieren. In einem meiner letzten Beiträge (Blogbeitrag vom 12.11.2020) habe ich ihnen einen Einblick in frugale Innovationen gegeben. Ich möchte nachfolgend zeigen, wie wir mit Design Thinking eine erfolgreiche Anwendung für die Entwicklung frugaler Innovationen vollzogen haben.
Zur Erinnerung: Frugale Innovationen sind vereinfachte, „zurückhaltende“ und nicht-luxuriöse Produkte, häufig entwickelt für Emerging Markets. Bei diesen reicht es nicht aus, von Highend-Produkten auszugehen, einfacheinige Nebenfunktionen wegzulassen und damit Schwellenmärkte anzupeilen. Dieser Ansatz geht in den meisten Fällen schief. Ziel ist es stattdessen, Innovationen, Produkte oder Dienstleistungen differenzierter zu betrachten und von der Wurzel her zu entwickeln, d. h. nicht auf Basis bestehender Lösungen, sondern sprichwörtlich ausgehend von einem weißen Blatt Papier.
Mein persönliches Beispiel aus der Praxis: Vor ca. zwei Jahren war ich in einem Projekt mit einem mittelständischen Unternehmen (ca. 200 Mitarbeiter) involviert. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, ob und wie wir für einen angestrebten Emerging Market eine frugale Innovation entwickeln können. Dabei nutzten wir Design Thinking als Prozess für die Ideenfindung und als agiles Hilfsmittel. Durch intensive Auseinandersetzung mit dem Problem und frühes Prototypisieren erster einfacher Lösungen bekamen wir schnell Antworten und konkretes Feedback auf die Frage, ob die angedachte Idee (bzw. frugale Innovation) auf dem gewünschten Emerging Market erfolgreich sein könnte. Wir haben, wenn Sie so wollen, mit Design Thinking sozusagen eine „Minimum Viable Frugale Innovation“ generiert und uns dazu Feedback eingeholt – Feedback, das übrigens nicht unbedingt direkt aus diesem Schwellenmarkt kommen musste.
Wir suchten jedoch, wo immer möglich, die Nähe zum anvisierten Schwellenlandmarkt. Im Rahmen des Design Thinking Prozesses half uns vor allem die Entwicklung einer Zielmarkt-Persona: Diese Persona beschrieb, wie oben erwähnt, einen fiktiven Kunden, der auf Basis aller gesammelten Erkenntnisse individuelle Eigenschaften und Bedürfnisse potenzieller Kunden widerspiegelt. So konnten wir Empathie gegenüber den potenziellen Nutzern des Zielmarkts aufbauen und diese greifbar machen. Die fiktiven Eigenschaften der Persona orientierten sich besonders an den frugalen Kriterien und lokalen Bedingungen des jeweiligen Emerging Markets.
Bei Feedback-Interviews wurden indes reale Personen mit Affinität zum anvisierten Schwellenlandmarkt ausgewählt. Unser Fokus lag dabei auf potenziellen Kollegen, Händlern, Lieferanten, Studenten, Praktikanten oder Personen aus dem privaten Umfeld mit Bezug auf oder Herkunft aus dem anvisierten Emerging Market.
Die enge Verbindung zu dem potenziellen Anwender – etwa der kontinuierliche, regelmäßige Kontakt und die vollständige Konzentration auf seine Probleme und Bedürfnisse – waren für uns die zentralen Vorteile des Design Thinking. Dadurch wurden in einem frühen Stadium falsche Annahmen vermieden. Bedingungen, unter denen ein Produkt eingesetzt wird, konnten von uns besser verstanden und vorhergesagt werden, z. B. spezielle Anwendungen, für die das eigentliche Produkt gar nicht gedacht ist oder extreme Wetter- und Umwelteinflüsse. Ebenso wurden durch unser frühzeitiges Prototypisieren. Ideen sehr früh erlebbar, vor allem haptisch und emotional.
Durch strikte Orientierung am Nutzer war es möglich, Lösungen zu generieren, die sich ausschließlich auf Kernfunktionen der frugalen Innovation konzentrieren. Unnötige Komponenten, möglicherweise aus früheren Lösungen, entfielen. Der iterative Design Thinking Ansatz schuf eine “fail fast, fail cheap“-Philosophie. Das bedeutet, dass wir frühzeitig ein Scheitern („fail“) zuließen, indem wir Erkenntnisse und Ideen durch Einholen von Nutzerfeedback auf den Prüfstand stellten. Dies hatte zur Folge, dass wir rechtzeitig, schnell (“fast“) und kostengünstig (“cheap“) auf „schlechtes“ Feedback reagieren konnten und kostspielige Produktänderungen in späteren Phasen des Entwicklungsprozesses vermieden.
Letztlich konnten wir so beispielhaft eine frugale Innovation für einen Emerging Market simulieren und generieren, ohne ein einziges Mal vor Ort zu gewesen zu sein. Selbstverständlich waren wir in einem sehr frühen Ideen- bzw. Prototypenstadium, aber unsere zahlreichen Erkenntnisse und Informationen erleichterten dem Unternehmen die Entscheidung: Schlussendlich entschloss es sich dafür, in den anvisierten Schwellenmarkt zu investieren. Ein erster Schritt bestand darin, ein Entwicklungs- und Vertriebsteam direkt vor Ort zu installieren und die initialen Ergebnisse mit den erstellten Prototypen durch weiteres Feedback zu validieren.
Wie jede agile Methode lebt natürlich auch Design Thinking von der Interaktion der Teammitglieder und Entwickler. Aber – und das konnte ich in Zeiten von Homeoffice und in Projekten mit dezentralen Teams umso häufiger feststellen Design Thinking funktioniert mit innovativen Videotelefonie-, Konferenz- bzw. Online-Tools durchaus auch auf virtueller Ebene. Aber sehen Sie selbst:
In einem kürzlich durchgeführten Projekt erfolgte beispielsweise die initiale Beobachtungsphase über Videotelefonie: Dabei haben wir die Kunden und Lead-User still über Kameras beim Anwenden der bestehenden Produkte oder Handlungen beobachtet oder emphatische Interviews und Gespräche via Skype durchgeführt. In der nächsten Phase – bei der Definition des Standpunkts – konnten wir Eindrücke und auch Ideen über digitale Whiteboards sammeln. Das Prototyping erfolgte teils zentral vor Ort in unserer Design Thinking Werkstatt, teils werkelten wir im Homeoffice. Zum Testen haben wir unsere Papp-Prototypen einfach per Versand an unsere Testnutzer gesendet und danach das Testing und die Befragung mittels Video-Telefonie durchgeführt. Während der Entwicklung standen wir als Team dank Videotelefonie oder Chat ständig in Kontakt – und alle arbeiteten kontinuierlich online an demselben, einen Projekt. Aber wichtigste Voraussetzung der digitalen Teamarbeit: Die Webcam bzw. Kamera war “always on“, immer an. Keine Chance für die sicher auch in Ihrem Unternehmen bekannten Kameramuffel!
Mein Fazit? Design Thinking lebt natürlich von der Empathie, Gestik und Mimik des Gegenübers. Ein Seufzen, Schmunzeln, Stirnrunzeln: Jede Gefühlsregung ist ein Signal, das es zu interpretieren gilt. Egal, wie lange uns diese Pandemie noch zu mobilem, dezentralem Arbeiten zwingt: Ideenfindung kann trotzdem gestaltet werden – digital. Auch das ist eine Form von Agilität.
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Quellenangaben:
[1] Bauer, Wilhelm: Innovation Management 2025: Integration sozialer Aspekte in das Innovationsmanagement (Open Innovation Kongress). Stuttgart, 2017
[2] Mack, Oliver: Managing in a VUCA world. Heidelberg: Springer, 2016.
[3] Spath, Dieter: Produktentwicklung im disruptiven Umfeld. 4. Stuttgarter Symposium für Produktentwicklung (Industrieforum). Stuttgart, 2017.
[4] Eißler, Patrick: Überblick und Anwendung agiler Methoden.
URL: https://agilerweg.de/agile-methoden/ – Zugriff am 31.10.2020.
[5] Augsten, Steven: Was ist agile Softwareentwicklung? URL: https://www.dev-insider.de/was-ist-agile-softwareentwicklung-a-569187/ – Zugriff am 05.09.2020.
[6] Diehl, Andreas: Agilität im Unternehmen – Die hohe Kunst mit Dynamik und Komplexität umzugehen. URL: https://digitaleneuordnung.de/blog/was-ist-agilitaet/ – Zugriff am 05.09.2020.
[7] Michl, Thomas: Aus der agilen Methodenkiste: Design Thinking. URL: https://agile-verwaltung.org/2016/10/20/aus-der-agilen-methodenkiste-design-thinking/ – Zugriff am 05.09.2020.
[8] Löwer, Chris: Ingenieure entdecken die Kunden. In: VDI Nachrichten (2017), Nr. 20.
[9] Plattner, Hasso; Meinel, Christoph; Leifer, Larry: Preface. In: Plattner, Hasso; Meinel, Christoph; Leifer, Larry (Hrsg.): Design Thinking Research. Cham: Springer International Publishing, 2018b, S. v–vi.
[10] Plattner, Hasso; Meinel, Christoph; Leifer, Larry: Design Thinking Research: Taking Breakthrough Innovation Home. Cham: Springer International Publishing; Imprint: Springer, 2016.
[11] Liedtka, Jeanne: Evaluating the Impact of Design Thinking in Action. In: Academy of Management Proceedings 2017. Nr. 1, Academy of Management, 2017.
[12] Brenner, W.; Uebernickel, F.; Abrell, T.: Design thinking as mindset, process, and toolbox. In: Brenner, Walter; Uebernickel, Falk (Hrsg.): Design Thinking for Innovation: Research and Practice. Cham: Springer International Publishing, 2016, S. 3–21.
[13] Gürtler, Jochen; Meyer, Johannes: Design Thinking. Offenbach: GABAL Verlag, 2013.
[14] Dorst, Kees: The core of ‘design thinking’ and its application. In: Design Studies 32 (2011), Nr. 6, S. 521–532.
[15] Plattner, Hasso; Meinel, Christoph; Leifer, Larry J.: Design thinking: Understand, improve, apply. Heidelberg: Springer, 2011.
[16] Gerstbach, Ingrid: Design Thinking im Unternehmen. Offenbach: Gabal, 2016.
[17] HPI: Hasso-Plattner-Institut: School of Design Thinking. URL: https://hpi.de/school-of-design-thinking/design-thinking/was-ist-design-thinking.html html – Zugriff am 31.10.2020.
[18] Gürtler, Jochen; Meyer, Johannes: 30 Minuten Design Thinking. 2. Aufl. Offenbach: GABAL, 2014.
[19] Plattner, Hasso; Meinel, Christoph; Weinberg, Ulrich: Design Thinking: Innovation lernen; Ideenwelten öffnen. München: mi-FinanzBuch Verl., 2009.
[20] Uebernickel, Falk; Brenner, Walter; Pukall, Britta; Naef, Therese; Schindlholzer, Bernhard: Design Thinking: Das Handbuch. Erste Auflage. Frankfurt am Main: Frankfurter Allgemeine Buch, 2015.
[21] Hilbrecht, Hester; Kempkens, Oliver: Design Thinking im Unternehmen – Herausforderung mit Mehrwert. In: Keuper, Frank; Hamidian, Kiumars; Verwaayen, Eric; Kalinowski, Torsten; Krai-jo, Christian (Hrsg.): Digitalisierung und Innovation. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2013, S. 347–364.
[22] Ambrose, Gavin; Harris, Paul: Design th!nking: Fragestellung, Recherche, Ideenfindung, Prototyping, Auswahl, Ausführung, Feedback. München: Stiebner, 2010.
[23] Schawel, Christian; Billing, Fabian: Top 100 Management Tools: Das wichtigste Buch eines Managers. 2., überarb. Aufl. Wiesbaden: Gabler, 2009.
[24] Brecht, Leo: Design Thinking & Innovationsmanagement - Kultur und Prozesse. Ulm, Universität, Studienbrief, 2014. URL: http://www.uni-ulm.de/fileadmin/website_uni_ulm/adprostu/Studien
gaenge/IWM/Module/DT/Kurzfassung_DT_2014_07_23.pdf – Zugriff: 31.10.2020
[25] Grots, Alexander; Pratschke, Margarete: Design thinking: Kreativität als Methode. In: Marketing Review. St. Gallen 26 (2009), Nr. 2, S. 18–23.
[26] Over the Fence: Agiler Populismus oder gute Sache das Beispiel der Stacey-matrix. URL: https://overthefence.com.de/agiler-populismus-oder-gute-sache-das-beispiel-der-stacey-matrix/ – Zugriff: 31.10.2020
[27] Steidele, Fabian: Entwicklung eines Konzepts für einen Design Thinking Workshop, Studienarbeit im Master, Institut für Konstruktionstechnik und Technisches Design, Universität Stuttgart, 2017.
[28] Klein, René: Das Minimum Viable Product: So erstellen Sie als Start-up Ihr MVP. https://www.fuer-gruender.de/wissen/geschaeftsidee-finden/geschaeftsidee-suchen/minimum-viable-product/ – Zugriff: 31.10.2020
[29] Aerssen, B. v.; Buchholz, C.; Burkhardt, N. (Mitarb.); Ernst, A. (Mitarb.); Rings, J. (Mitarb.); Rings, S. (Mitarb.); Schobloch, A. (Mitarb.); Spicker, M. (Mitarb.); Wigge, K. (Mitarb.); Wirth, Dirk (Mitarb.): Das große Handbuch Innovation: 555 Methoden und Instrumente für mehr Kreativität und Innovation im Unternehmen, 1. Aufl. München: Franz Vahlen, 2018, S. 419 f. – ISBN 9783800656837
[30] Ries, E.; Bischoff, U. (Mitarb.): Lean startup: Schnell, risikolos und erfolgreich Unternehmen gründen, 5. Aufl. München: Redline, 2017. – ISBN 9783868815672
[31] Dark Horse Innovation: Digital innovation playbook: Das unverzichtbare Arbeitsbuch für Gründer, Macher und Manager: Taktiken, Strategien, Spielzüge, 1. Aufl. Hamburg: Murmann Publishers, 2016, 193 ff. – ISBN 9783867745567
[32] Gerstbach, I.: 77 Tools für Design Thinker: Insidertipps aus der Design-Thinking-Praxis. Offenbach: GABAL Verlag, 2017, S. 104 f. – ISBN 9783869368054
[33] Beckmann, S. C.; Langer, R.: Netnographie. In: Buber, R.; Holzmüller, H. H. (Hrsg.): Qualitative Marktforschung. Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden, 2007, S. 219-228.