Der Blog für Ideenmanager

Best Practice - Das Ideenmanagement bei der Friedr. Lohmann GmbH

Geschrieben von Dr. Hartmut Neckel | 07.04.22 09:58

Im Jahr 1790 gründete Johann Friedrich Lohmann in Witten eine Stahlfabrik, aus der die Friedr. Lohmann GmbH mit ihren beiden Standorten in den Stadtteilen Herbede und Annen hervorging. Das Ideenmanagement des Unternehmens ist etwas jünger: Es wurde 1971 als Vorschlagswesen eingeführt und hat sich nach einer grundlegenden Neuaufstellung im Jahr 2001 erfolgreich weiterentwickelt. Hier stellen wir die heutige „gute Praxis“ bei Friedr. Lohmann vor.

Vorbemerkung: Eine vorangegangene Serie hatte sich den „3x3 Erfolgsfaktoren des Ideenmanagements“ gewidmet (siehe den Überblick im Blogbeitrag vom 16.09.2020). Dabei wurde jeder Erfolgsfaktor mit Praxisbeispielen aus verschiedenen Unternehmen veranschaulicht. In diesem und weiteren Blogbeiträgen wird nun jeweils die Praxis eines einzelnen Unternehmens im Hinblick auf alle Erfolgsfaktoren zusammen durchleuchtet. Die Auswahl der Unternehmen orientiert sich daran, dass sie beim „Kennzahlenvergleich Ideenmanagement“ in allen betrachteten Dimensionen – Kultur-, Nutzen- und Prozessdimension – weit über dem Durchschnitt liegende Werte erzielt haben.

Das Unternehmen

Die Friedr. Lohmann GmbH hat sich als Hersteller von Schnellarbeits-, Werkzeug- und Spezialstählen sowie hochverschleißfesten- und hitzebeständigen Gussteilen weltweit einen Namen gemacht. Das Unternehmen beschäftigt heute rund 350 Mitarbeiter, befindet sich nach wie vor in Familienbesitz und wird in der siebten Generation geführt.

Das Ideenmanagement

Die Unternehmensleitung hat ein eindeutiges „Commitment“ zum Ideenmanagement und macht das auf vielerlei Weise auch persönlich deutlich (Erfolgsfaktor 4 „Promotion“):

  • Seitdem das Ideenmanagement 2001 im Rahmen eines firmenübergreifenden Verbundprojekts grundlegend neu aufgestellt wurde, findet jährlich ein halbtägiger Status-Workshop mit allen Führungskräften oberhalb der Meisterebene statt. Unterstützt durch den fachlichen Input und die Moderation eines externen Experten wird der erreichte Stand immer wieder hinterfragt und es werden gemeinsam Ziele und Maßnahmen für Weiterentwicklungen erarbeitet.
  • Auf jeder Weihnachtsfeier wird das Ideenmanagement von einem der geschäftsführenden Inhaber besonders gewürdigt.
  • In jedem Quartal wird ein „Vorschlag des Quartals“ gekürt und per Newsletter publik gemacht. Dem Einreicher wird von einem der geschäftsführenden Inhaber persönlich Dank und Anerkennung ausgesprochen.
  • Der Leiter der Edelstahlgießerei in Annen veranstaltet (in Nicht-Corona-Zeiten!) bei guten Ergebnissen im Ideenmanagement ein Grillfest und stellt sich dabei selbst hinter den Grill.
  • Außerdem führt er jährlich ein Treffen zum Kaffeetrinken mit den Gutachtern seines Standorts durch, um ihren Einsatz zu würdigen und auf ihre Belange einzugehen.

Abb. 1: Der Geschäftsbereichsleiter Gießerei lädt bei guten Ergebnissen im Ideenmanagement zum Grillimbiss ein

 Die vier letztgenannten Punkte tragen natürlich auch zu den Erfolgsfaktoren 6 „Anerkennung“ bzw. 8 „Sichtbarkeit und Marketing“ bei – wir haben sie hier bereits erwähnt, weil sie in besonderer Weise zeigen, wie das Top-Management von Friedr. Lohmann das Ideenmanagement persönlich fördert.

Weitere Formen der „Anerkennung“ (als Teil des „Commitments“ des Unternehmens) bestehen in wertschätzenden Rückmeldungen an Einreicher, zu denen die Führungskräfte verpflichtet sind, sowie in den „normalen“ Prämien, die gemäß klaren Regelungen für erfolgreich umgesetzte Ideen gezahlt werden.

Indem es sowohl fortlaufend im Alltag als auch immer wieder aus besonderen Anlässen zur Sprache gebracht und vor Augen geführt wird (Erfolgsfaktor 8 „Sichtbarkeit und Marketing“), wird systematisch Aufmerksamkeit (als knappe, aber für alles, was gedeihen soll, erforderliche „Ressource“) auf das Ideenmanagement gelenkt:
 
  • An Monitoren, die im Betrieb und in häufig besuchten Bereichen hängen, werden aktuelle Zahlen, Daten und Fakten zum Ideenmanagement gezeigt (neben Informationen zu anderen Themen).
  • Monatlich wird in jeder Abteilung des Werks in Annen ein Abteilungsprofil am Schwarzen Brett ausgehangen.
  • Das Ideenmanagement ist fester Tagesordnungspunkt in verschiedenen Formaten der Regelkommunikation:

    – In den täglichen Frührunden mit den Produktionsleitern werden Vorschläge thematisiert, die noch auf ihre Umsetzung warten; weitere Abstimmungen erfolgen in wöchentlichen Instandhaltungsmeetings;
    – In wöchentlichen Produktionsbesprechungen werden aktuelle Kennzahlen vorgestellt.
  • Sonderaktionen lenken die Aufmerksamkeit immer wieder gezielt auf das Ideenmanagement. Im letzten Jahr wurde das 50-jährige Jubiläum des Ideenmanagements mit einer Kampagne zum Thema Nachhaltigkeit und CO2-Einsparung verknüpft. Als zusätzliche Prämie kaufte das Unternehmen für jeden Vorschlag zu diesem Thema 10 Setzlinge. Am 12. März 2022 konnten so in einer gemeinsamen Aktion mit Mitarbeitern und Familienangehörigen insgesamt 1790 Bäume in einem von Borkenkäfern geschädigten Waldstück gepflanzt werden (siehe Abbildung 2).
  • Wie die Plaketten aussehen, mit denen bei Friedr. Lohmann während einer Aktionsphase auf umgesetzte Verbesserungen direkt am Ort des Geschehens hingewiesen wurde, sehen Sie in Abbildung 2 im Blogbeitrag vom 08.06.2020.

Abb. 2: Ankündigungsflyer zur Sonderaktion „Naturschutz – CO2-Einsparungen“
 

Abb. 3: Bericht über die Baumpflanzaktion in der WAZ vom 14.03.2022 (Quelle: WAZ, mit freundlicher Genehmigung) 
 
Neue Mitarbeiter werden u.a. mit einem Flyer in der Begrüßungsmappe und einer persönlichen Vorstellung des Ideenkoordinators im Rahmen der Einführung auf das Ideenmanagement aufmerksam gemacht. Zudem haben sie die Möglichkeit, an Schulungen teilzunehmen, in denen für das Ideenmanagement relevantes Wissen vermittelt wird (Erfolgsfaktor 9 „Know-how als hilfreiche „Ressource“). Diese Schulungen werden als firmenübergreifende Veranstaltungen in einem Unternehmensnetzwerk angeboten, das aus dem oben erwähnten Verbundprojekt entstanden ist.
 
  • Für Auszubildende ist die Teilnahme an solchen Schulungen ein fester Bestandteil des Ausbildungscurriculums.
  • Know-how für Führungskräfte und Gutachter vermitteln die Ideenkoordinatoren meistens in persönlichen Gesprächen je nach Bedarf.
  • Die Ideenkoordinatoren selbst nehmen ebenso wie der für das Ideenmanagement verantwortliche Geschäftsführer regelmäßig an halbjährlich stattfindenden Workshops im Unternehmensnetzwerk teil. Neben dem Austausch von Erfahrungen geht es um die Weiterentwicklung der für das Ideenmanagement relevanten Fertigkeiten und Methoden.

Dass für derartige Veranstaltungen auch die entsprechenden zeitlichen und ggf. räumlichen „Ressourcen“ verfügbar sein müssen, ist eine Selbstverständlichkeit (Erfolgsfaktor 7 „Ausstattung“).

Weitere Element des Erfolgsfaktors „Ausstattung sind die personelle Besetzung des Ideenmanagements und eine funktionale Software. Das erstgenannte dürfte neben dem Commitment der Unternehmensleitung der entscheidende Erfolgsfaktor überhaupt sein.
 
  • An jedem Standort ist ein sogenannter „Ideenkoordinator“ mit knapp einem Drittel seiner Arbeitskapazität für das Ideenmanagement tätig.
  • Wichtiger als das Zeitbudget sind allerdings das persönliche Engagement der Ideenkoordinatoren, ihre Bereitschaft, Mitarbeiter und Führungskräfte aktiv anzusprechen und ihr Selbstverständnis, sich eher als „Verantwortliche“ für den Erfolg des Ideenmanagements zu begreifen statt („nur“) als „Koordinatoren“.

Die Kombination mit ihren anderen Zuständigkeiten für Refa-Projekte und Brandschutz bzw. für die Arbeitsvorbereitung ermöglicht den Ideenkoordinatoren übrigens ein hohes Maß an Flexibilität im „Prozess“ des Ideenmanagements (Erfolgsfaktor 1 „Flexibilität“) und fördert ein enges Zusammenspiel dieser Themenbereiche (Erfolgsfaktor 2 „Kooperation“): Es gibt vielfältige Anlässe, vor Ort zu sein und zu kommunizieren, und oft können solche Anlässe für die gleichzeitige Erledigung von Anliegen aus verschiedenen Aufgabenbereichen genutzt werden.

Auch in der Verwendung der Software zeigen sich „Flexibilität“ und „Kooperation“. So werden aus Sitzungen und Rundgängen des Arbeitssicherheitsausschusses resultierende Maßnahmen, Ratio-Maßnahmen, KVP-Maßnahmen und Mängelhinweise zusammen mit den „eigentlichen“ Verbesserungsvorschlägen in einer einzigen Datenbank erfasst und dort anhand einer Klassifikationen unterschieden. Dadurch sind der Workflow und die Dokumentation des Ideenmanagementsystems für andere Initiativen nutzbar. Das sorgt für Übersicht und erleichtert eine abgestimmte Ressourcensteuerung zur Umsetzung der aus verschiedenen Quellen stammenden Maßnahmen.

Nicht zuletzt liefert die Software Daten für das fortlaufende Controlling und Reporting (Erfolgsfaktor 5 „Ziele und Reporting). Die Ideenkoordinatoren haben die Datenbank mit umfassenden Auswerte- und Visualisierungstools ergänzt, um den verschiedenen Stakeholdern des Ideenmanagements einen möglichst hohen Komfort zu bieten und tagesaktuelle Kennzahlen per Mausklick verfügbar zu machen.

  • Alle Gutachter können sich jederzeit individuelle Auswertungen auf verschiedenen Überblicks- bzw. Detaillierungs-Ebenen (z.B. Gesamtunternehmen / Standort / Abteilung) ausgeben lassen.
  • Beispiele zu den Analyse- und Visualisierungsmöglichkeiten mit Hilfe von Microsoft Power BI sehen Sie im Blogbeitrag zu diesem Erfolgsfaktor vom 30.03.2021.

Zielvorstellungen zum Ideenmanagement werden anhand von Kennzahlen in den oben erwähnten Status-Workshops jährlich nachverfolgt und angepasst. Je nach aktueller Situation und Entwicklungsbedarfen werden dafür von Jahr zu Jahr andere oder auch zwischen den Standorten abweichende Kennzahlensets verwendet.

Aufgrund der über Jahre hinweg verfolgten Arbeit im und am „Prozess“ des Ideenmanagements wurde die Aufbau- und Ablauforganisation immer wieder an neue Anforderungen angepasst und hat dadurch eine hohe Funktionalität erreicht (Erfolgsfaktor 3 „Organisation“).

  • Vorschläge können wahlweise über Vorschlagskarten oder über Terminals bzw. PCs direkt in die Software eingegeben werden.
  • Erste Ansprechpartner sind (neben den Ideenkoordinatoren) die direkten Vorgesetzten.
  • Gutachter und Entscheider ist jeweils die Fach- und Führungskraft, die für das vom Vorschlag betroffene Thema verantwortlich ist. Sie ist auch dafür zuständig, ggf. für die Umsetzung zu sorgen.
  • Der Bearbeitungsstatus und die Einhaltung der definierten Fristen zur Bearbeitung und Umsetzung werden von den Ideenkoordinatoren verfolgt und reportet. Bei Fristüberschreitungen versenden die Ideenkoordinatoren Mahnungen und beziehen bei Bedarf die nächsthöheren Ebenen ein.
  • Vorgaben regeln, wie der Nutzen von Vorschlägen ermittelt wird. Bei Vorschlägen mit einer errechneten Einsparung ergibt sich die Prämie gemäß einem festen Prozentsatz, bei nicht rechenbaren Vorschlägen wird ein Punktsystem verwendet. Beides ist in der Software hinterlegt.

Lesen Sie auch die anderen Blogbeiträge zu diesem Thema: 

„3x3 Erfolgsfaktoren des Ideenmanagements – ein Überblick“
 Erfolgsfaktor 1/9 – Prozess: Flexibilität“

„Erfolgsfaktor 2/9 – Prozess: Kooperation“
„Erfolgsfaktor 3/9 – Prozess: Organisation“
„Erfolgsfaktor 4/9 – Commitment: Promotion“
„Erfolgsfaktor 5/9 – Commitment: Ziele und Reporting“
„Erfolgsfaktor 6/9 – Commitment: Anerkennung“
„Erfolgsfaktor 7/9 – Ressourcen: Ausstattung“
„Erfolgsfaktor 8/9 – Ressourcen: Sichtbarkeit und Marketing“
„Erfolgsfaktor 9/9 – Ressourcen: Know-how“

 

 Alle Erwähnungen von Produkten und Unternehmen sind redaktioneller Natur und wurden nicht bezahlt. 

Zu den Autoren: Dieser Blogbeitrag entstand infolge eines Gesprächs von Benjamin Fehr und Ingo Vetter mit Dr. Hartmut Neckel.


Benjamin Fehr, war nach seiner Ausbildung zum  Industriemechaniker und anschließender Weiterbildung zum Maschinenbautechniker u.a. als Projektleiter im Lean Management eines Automobilzulieferunternehmens tätig. Seit 2018 ist er in der REFA-Abteilung bei der Friedr. Lohmann GmbH in Witten-Herbede für Prozessoptimierungen, Zeit- und visuelles Management zuständig, seit 2020 verantwortlich für das Ideenmanagement und den Brandschutz im Werk Herbede.
Kontakt: Fehr@lohmann-stahl.de 


Ingo Vetter ist seit 2000 bei der Friedr. Lohmann GmbH am Standort Annen als Refa-Techniker für Arbeitsvorbereitung, Zeitwirtschaft und Prozessoptimierungen zuständig. Die Entwicklung des Ideenmanagements bis zu seiner heutigen Funktionalität hat er seit 2005 maßgeblich mitgeprägt – etwa durch die Gestaltung von Motivationsinstrumenten oder durch die Programmierung von bedienerfreundlichen Nutzeroberflächen für Analysen und Reporting.
Kontakt: Vetter@lohmann-stahl.de 


Dr. Hartmut Neckel ist einer der profiliertesten Vordenker und erfahrensten Praktiker im Themenbereich Ideenmanagement, Innovation und kontinuierliche Verbesserungsprozesse. >> Mehr
Kontakt: kontakt@hartmut-neckel.de

rtriebsfunktionen tätig. Seit Anfang 2001 ist er in verschiedenen Funktionen bei Siemens beschäftigt – u.a. als kaufmännischer Ausbildungsleiter, Weiterbildungsbeauftragter, Ideenmanager. Das Ideenmanagement des Energiebereiches hat er in vielen Standorten und Ländern erfolgreich entwickeln und unterstützen können.