Dieser Blogbeitrag ist Teil einer Serie über erfolgreiche Open Innovation-Programme. In dieser Serie spreche ich mit erfahrenen Innovationsmanagern, um zu verstehen, wie sie Open Innovation in ihren Organisationen auf- und ausgebaut haben.
Open Innovation bedeutet dabei in erster Linie, internes Wissen und Ressourcen erfolgreich mit Externen zu kombinieren, um etwas Neues zu schaffen. Es gibt viele Spielarten von Open Innovation und drei grundsätzliche Wege, sie zu erreichen. Bei HYPE kategorisieren wir die verschiedenen Varianten nach dem primär beteiligten Stakeholder. Das “Big Picture“, der Rahmen, sieht ungefähr so aus:
Abb. 1: Open Innovation mit HYPE (Quelle: HYPE Innovation)
In diesem Beitrag beleuchten wir Open Innovation-Aktivitäten mit Forschern und untersuchen, warum die Bündelung akademischer Erkenntnisse auf Online-Kollaborationsplattformen ganzen Wissenschaftsfeldern helfen kann, schneller voranzukommen.
Es gibt viele gute Gründe dafür, mit der Forschung zu innovieren: Bittet man Forscher, auf Online-Ausschreibungen zu antworten, an Projekten teilzunehmen oder zu Hackathons und anderen Ideenfindungsprojekten beizutragen, führt dies in der Regel schnell zu Lösungen und zu einem wertvollen Austausch. Vor allem ist auch sichergestellt, dass Knowhow und Skills der Organisatoren und Teilnehmer perfekt aufeinander abgestimmt sind.
Langfristig können daraus auch gemeinsame Veröffentlichungen entstehen oder sogenannte "Twin Wins": Twin Wins leisten einen Beitrag für die Gesellschaft, da sie sowohl die Grundlagenwissenschaft als auch die angewandte Wissenschaft voranbringen. Im Hinblick auf eine schnelle Lösungsfindung war beispielsweise der Versuch der NASA, Crowdsourcing mit Forschern (hauptsächlich Nicht-Fachleuten) zu betreiben, „besonders erfolgreich bei der Herausforderung, gefährliche Sonnenstürme vorherzusagen. Dies führte innerhalb von nur drei Monaten zu einem Durchbruch“ (Quelle: HBR). Diese Methode hatte aber einen Nachteil: Experten vor Ort betrachteten die „Open-Source-Methoden als fundamentale Herausforderung für ihre berufliche Identität." Wie bei jeder Form von Open Innovation wird die Akzeptanz der Ergebnisse stark von der jeweiligen Kultur beeinflusst.
Open Innovation kann von Forschern auch bei gesellschaftlichen Problemen eingesetzt werden. In Großbritannien hat sich beispielsweise BAXI Heating mit führenden Wissenschaftlern der Universität Coventry zusammengetan, um ein drängendes soziales Problem im Vereinigten Königreich anzugehen: Energiearmut. In den USA lud die National Science Foundation (NSF) 200 Bildungsvertreter ein zu Diskussionen darüber, wie unterrepräsentierte Minderheiten besser eingebunden werden können in die MINT-Forschung.
All diese Beispiele verdeutlichen, dass Open Innovation mit Forschern ein exzellenter Treiber ist für den Technologietransfer wie auch für Projekte zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen.
Um mehr darüber zu erfahren, wie der Aufbau eines speziellen Open Innovation-Programms die wissenschaftliche Forschung beflügeln kann, habe ich mit Moritz Fontaine gesprochen, Discovery & Preparation Officer und Innovation Manager bei der ESA.
Außerdem erfuhr ich von Fontaine, wie die Open Space Innovation Platform die Mission der ESA für Raumfahrtforscher, Industrieexperten und Raumfahrtbegeisterte in Europa zugänglicher macht.
Mit 22 Mitgliedsstaaten, ihrem Hauptsitz in Paris und wichtigen Standorten in ganz Europa ist die ESA eine wahrhaft europäische Organisation. Ihre Missionen reichen von Erdbeobachtungssatelliten, die die Erforschung des Klimawandels, die Landwirtschaft oder das Katastrophenmanagement unterstützen, bis hin zu Sonden, die ferne Planeten analysieren. Beispiele für die Arbeit der ESA sind BepiColombo, die erste europäische Mission zum Merkur, und das Cheops-Teleskop, das nach Planeten nahegelegener Sterne sucht. Die ESA ist auch aktives Mitglied der Internationalen Raumstation (ISS).
Abb. 2: ESA-Hauptquartier in Paris, Frankreich (Quelle: ESA)
Die ESA betreibt Forschung und Entwicklung in allen Upstream und Downstream-Bereichen: Upstream, das vorgelagerte Segment, umfasst z.B. Grundlagen- und angewandte Forschungstätigkeiten, wissenschaftliche und ingenieurtechnische Unterstützung, bei dem nachgelagerten Segment Downstream handelt es sich z.B. Raumfahrtanwendungen für die terrestrische Nutzung. Dabei arbeitet die ESA eng mit der europäischen Industrie und Wissenschaft zusammen, um die besten Lösungen für die anspruchsvollsten weltraumspezifischen Fragen unserer Zeit zu finden. Die Organisation setzt schon seit langem äußert erfolgreich auf Open Innovation.
2020 hat die ESA ihre “Basisaktivitäten" umstrukturiert und in drei Innovationsbereiche gegliedert: Entdecken (Discovery), Vorbereiten und Technologieentwicklung. Die Aktivitäten, um nur einen kleinen Teil unendlich vieler Innovationsmaßnahmen der ESA zu nennen, reichen von der frühen Blue-Sky-Forschung bis zu Entdeckungsprojekten.
In diesem Blog-Beitrag konzentrieren wir uns ausschließlich auf die Discovery-Projekte, die sich aus verschiedensten Quellen speisen, beispielsweise der Ideengenerierung mit internen und externen Stakeholdern. Mit ihren Discovery-Projekten hat die ESA einen Paradigmenwechsel herbeigeführt – und den Start der Open Space Innovation Platform (OSIP) eingeläutet.
OSIP sollte bei der ESA als einzigartiges Tool im Aktivitätsfeld "Entdecken“ (Discovery) etabliert werden, um externe Partner aktiver in ihre Innovationsaktivitäten einzubeziehen. Ziel war es, den Einstieg für Industrie, Hochschulen und Forschungsorganisationen zur Zusammenarbeit mit der ESA zu vereinfachen und zu optimieren.
Neben dem ESA-Discovery-Team, das OSIP implementiert hat, nutzen auch andere Programme und Abteilungen die Plattform, um Ideenkampagnen durchzuführen. Seit dem offiziellen Start im Frühjahr 2019 ist OSIP deutlich gewachsen und hat vielversprechende Ergebnisse erzielt. „Das hat wirklich gut funktioniert", so Fontaine. „Wir freuen uns sehr über die Resonanz unserer Kollegen auf OSIP. Es gab viele interessante Kampagnen, aus denen jede Menge spannender Ideen hervorgegangen sind."
Noch wichtiger ist, dass sich die Plattform inzwischen auch zur starken Community gewandelt hat.
Unser Ziel ist es, eine Community für Raumfahrtfans aufzubauen und zu pflegen, die es externen Partnern ermöglicht, mit der ESA zusammenzuarbeiten, um einen Beitrag zur Zukunft des Weltraums zu leisten", - Moritz Fontaine, ESA.
Im ersten Schritt ging es beim Setup der OSIP-Plattform vor allem darum, ein geeignetes Publikum zu finden für das kollektive Erfassen und Teilen von Informationen – und diesem relevante Themen anzubieten. Hierzu einige Details.
Die ersten kollaborativen Innovationsaktivitäten im Rahmen von OSIP waren Ideenkampagnen, die sich auf die Fernerkundung von Plastikmüll im Meer und auf einen möglichst autonomen Schiffsverkehr von Hafen zu Hafen konzentrierten. Die Themen der Kampagnen wurden sukzessive diversifiziert und reichten von der Erforschung der Mondoberfläche, erdferner Fertigung und Konstruktion bis zu modellbasierter Systemtechnik und neuen Nutzungen kommerzieller Standardkomponenten (COTS) für Weltraummissionen. Wie bei jeder Kampagne hat auch die ESA innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens nach Lösungen für spezifische Fragen gesucht.
Kanäle nutzte das Team bei allgemeineren Themen für offene Aufrufe zur Ideeneinreichung. Einen ihrer ersten OSIP-Kanäle etablierte die ESA für kofinanzierte Forschungsaktivitäten. Speziell dieser Kanal erfreute sich großer Beliebtheit – aber das Feedback der OSIP-Nutzer zeigte schnell, dass auch andere Projektarten von einem solchen Kanal profitieren könnten.
„Unsere Nutzer gaben uns das Feedback, dass ein Kanal, über den man Ideen für jeden unserer Discovery-Ideenentwicklungspfade einreichen kann, die Zusammenarbeit mit der ESA erheblich vereinfachen würde,", so Fontaine. „Also haben wir unter dem Namen 'Open Discovery Ideas Channel' einen neuen Kanal gestartet, auf dem wir Ideen für Co-Sponsoring-Projekte, frühe Technologieentwicklungsprojekte und Systemstudien suchen."
Die Resonanz auf den ‘Open Discovery Ideas Channel‘ war sehr positiv. Dieser Online-Kanal bietet Externen einen neuen, interaktiven Weg, mit der ESA Innovationen zu starten – eine Premiere für die Weltraumagentur. Die Möglichkeit, sich mit den Ideenautoren nach der Ideeneinreichung und vor der Ideenbewertung austauschen zu können, erwies sich dabei als größter Paradigmenwechsel. ESA-Experten können so interaktiv und informell die Ideenreifung diskutieren und unterstützen, was sowohl der ESA als auch den Ideenautoren hilft, relevante und hochinnovative Ideen zu generieren.
Die Resonanz auf den ‘Open Discovery Ideas Channel‘ war sehr positiv. Dieser Online-Kanal bietet einen neuen, interaktiven Weg, um mit der ESA innovativ tätig zu werden – eine “Premiere" für die Weltraumagentur.
Was den Prozess betrifft, so folgt auf die Ideensammlung immer eine gründliche Bewertung. Als nächstes lädt das Innovationsteam die Autoren der vielversprechendsten Ideen ein, ihre Gedanken zu vollständigen Vorschlägen reifen zu lassen. Letzteres geschieht mit Hilfe eines OSIP-Channels, der auf das jeweilige Umsetzungsschema ausgerichtet ist.
Ein kleines, agiles OSIP-Team managt die Plattform sowohl technisch und inhaltlich als auch kommunikativ. „Das Arbeitspensum zur Verwaltung von Ideen, für Meetings mit Bewertern und Kampagnenmanagern sowie zur Vorbereitung von Folgeaktivitäten ist immens, aber die positive Resonanz aus Industrie und Akademie und die spannenden Aktivitäten, die bereits angelaufen sind, sind eine tolle Belohnung für diese harte Arbeit", so Fontaine.
Abb. 5:Bild aus der 'Lunar Caves'-Kampagne (Quelle: ESA)
Die OSIP-Kampagne zu COTS-Komponenten (engl. Commercial Off-The-Shelf) deckt einen der herausforderndsten Aspekte der Weltraumelektronik der letzten Jahre ab, nämlich zu verstehen, wie und wann vielversprechende Komponenten für terrestrische Anwendungen im Weltraum eingesetzt werden können – um von den zahlreichen bereits verfügbaren, innovativen Angeboten, Funktionen und Kostenvorteilen von COTS zu profitieren. Verglichen mit dem traditionellen Ansatz zeigte sich, dass COTS offenbar tatsächlich einer der vielversprechendsten Wege ist, die NewSpace eröffnet.
Zur weiteren Lektüre: Hier finden Sie regelmäßige Updates zu Ideen, die über OSIP eingereicht werden.
OSIP hat die Eintrittsbarriere zur Innovationspipeline der ESA in jedem Fall erfolgreich gesenkt – eine beeindruckende Leistung angesichts der Komplexität ihrer Arbeit und der damit verbundenen Themen. Heute kann OSIP Ideen aus unterschiedlichsten Quellen auf einfache, effiziente und transparente Weise visualisieren und verschiedene Akteure auf völlig neue unerwartete Art und Weise vernetzen. Das Nutzer-Feedback zeigt, dass System und Prozess lern- und ausbaufähig sind. Auch die Beispiele hier belegen: Wenn Aufgaben gemeinsam, im Team erledigt werden, kann das sehr effektiv sein.
Mit diesem wirkungsvollen Instrument ist die ESA bestens gerüstet für ihre weitere, kühne Reise in den unendlichen Weiten des Weltraums – dorthin, wo nur wenige Raumfahrtagenturen vor ihr waren: in den Deep (Open Innovation) Space.