Im ersten Beitrag dieser Serie hatte ich die Kernelemente eines Ideenmanagements benannt, wie sie sich seit dem Generalregulativ von Alfred Krupp in den letzten 150 Jahren herausgebildet haben. In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, welche Konsequenzen der mit dem Schlagwort „New Work“ bezeichnete Wandel von Organisationsformen in Unternehmen für das Ideenmanagement haben könnte – insbesondere für die Funktionen des Ideenmanagements, Entscheidungen herbeizuführen und für Anerkennung zu sorgen.
Hinweis der Redaktion: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Artikel die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
Als Alfred Krupp im Jahr 1872 sein Generalregulativ veröffentlichte (siehe Blogbeitrag „150 Jahre „General-Regulativ“ – Teil 1: Kernelemente des Ideenmanagements“), war die Welt in allen Lebensbereichen hierarchisch geordnet. In starker Vereinfachung gesprochen, stand im Staat der Kaiser oben, in der Familie der Vater und im Unternehmen der Inhaber mit der von ihm eingesetzten „Procura“. Kinder hatten ihre Eltern zu siezen und man sollte sie sehen, aber nicht hören. In allen Organisationen wurden Ansagen von oben nach unten gemacht, und wer unten war, „hatte nichts zu sagen“.
Diese Ordnung regelte Krupp für sein Unternehmen ausführlich in den Abschnitten II – V des „General-Regulativs“. Um so bemerkenswerter ist Paragraph 13 im Abschnitt I, der ausdrücklich dazu auffordert, darauf zu hören, was der „einfache Arbeiter“ zu sagen hat und ihm dabei „auf Augenhöhe zu begegnen“ (in heutiger Sprache formuliert). Offenbar war Krupp sehr wohl bewusst, wie wichtig ein funktionierender Bottom-up-Kanal für eine erfolgreiche Komplexitätsbewältigung ist. In seinem Entwurf vom 04.12.1871 schrieb er: „Ich … bekenne gern, daß recht oft ein guter Gedanke eines gewöhnlichen Arbeiters mir zur Brücke wurde aus der Verlegenheit“ (zitiert nach Schröder, Ernst (1956): Alfred Krupps Generalregulativ. In: Tradition. Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie. Vol. 1, 35-57. München: Bruckmeyer).
Zwar gibt es auch heute noch (auch erfolgreiche) Unternehmen und Organisationen, die nach den gleichen hierarchischen Prinzipien funktionieren wie Unternehmen zu Kaisers Zeiten. Und es gibt Menschen, die sich in der geordneten Struktur einer Hierarchie wohler und sicherer fühlen als in anderen Organisationsformen. Davon abgesehen, hat sich die Welt seit 1872 jedoch in allen gesellschaftlichen Bereichen stark geändert. Den Vorkämpferinnen und Vorkämpfern dieser Entwicklung sei Dank, haben in den Familien umfassende Emanzipationsprozesse von Frauen und Kindern stattgefunden, die sicherlich noch nicht abgeschlossen sind. Ein Vater, der heute seine Familie etwa zu einem Zoobesuch bewegen möchte, tut gut daran, die Ratschläge von Büchern wie „Familienkonferenz“ zu beherzigen und sich auf ausgiebige Diskussionen (auf Augenhöhe!) einzustellen.
In vielen Unternehmen hat sich die Rolle von Führungskräften vom „Vorgesetzten“ zum „Coach“ ihrer Mitarbeiter gewandelt. Eine Führungskraft kann nicht mehr einfach nur „Gehorsam“ fordern, sondern tut gut daran, gemäß den Ratschlägen von Büchern wie „Managerkonferenz“ zu führen. Dieser Wandel vollzog sich parallel zum „Empowerment“ der Mitarbeiter, die zunehmend größere Gestaltungs- und Entscheidungsfreiräume erhielten – eine Tendenz, die bereits in den 1930er Jahren mit der Human-Relations-Bewegung begann und sich in den letzten Jahrzehnten beschleunigt und intensiviert hat. Bestrebungen nach „Empowerment“ zum Wohle der Mitarbeiter gehen dabei oft Hand in Hand mit dem Streben nach „Verschlankung“ durch Hierarchieabbau.
Die zukünftigen Formen des Ideenmanagements werden sich zwangsläufig daraus ergeben, wie sich Arbeitswelten und Organisationsformen entwickeln und wie in diesen dann Ideen generiert, entschieden und anerkannt werden. Nun gibt es zur „Zukunft der Arbeit“ eine Vielfalt von Prognosen und Visionen – oft unter der Überschrift „New Work“ und zuweilen abdriftend in esoterisch anmutende Utopien für eine (auch insgesamt) „bessere Welt“.
Abbildung: Kernelemente des Ideenmanagements (eine Erläuterung finden Sie unter Abbildung 2 im Blogbeitrag „150 Jahre „General-Regulativ“ – Teil 1“)
Zu Krupps Zeiten lag zwischen dem „Ideengeber“ (dem „gewöhnlichen Arbeiter“) und dem „Entscheider“ (der „Procura“) eine große (hierarchische) Distanz. Um Ideen vom Ort ihrer Entstehung zum Ort der Entscheidung und entsprechendes Feedback wieder zurück zu bringen, hat Krupp sein Ideenmanagement eingeführt. An dieser Funktion eines Ideenmanagements hat sich bis heute nichts geändert. In zentralen Gremiumsmodellen ist das (meist von Gutachtern unterstützte) Gremium der Ort der Entscheidung, in anderen Modellen der für das jeweilige Thema zuständige Prozessverantwortliche, in manchen Unternehmen grundsätzlich der Geschäftsführer.
Sobald Ideen komplexere Themen betreffen, die sich nicht „auf Zuruf“ im persönlichen Dialog zwischen eng zusammenarbeitenden Personen (wie in einem Team oder mit einer direkten Führungskraft) fällen lassen, sind für die Entscheidungen entsprechend komplexere Klärungs- und Abstimmungsprozesse (eben: Managementprozesse) erforderlich. Wie diese Managementprozesse zu gestalten sind, war in den vergangenen 150 Jahren stets eine zentrale Frage für das Ideenmanagement, auf die mit den unterschiedlichsten Modellen geantwortet wurde: vom Prokura-Modell à la Krupp, über zentrale Gremiums-, dezentrale Vorgesetzten- und verschiedene Hybridmodelle bis zu kollaborativen und agilen Crowd-Modellen.
Derzeit besteht in vielen (insbesondere größeren) Unternehmen ein Teil der entsprechenden „Workflow-Kompetenz“ noch darin, dass in den IT-Systemen des Ideenmanagements nicht nur alle Mitarbeiter erfasst, sondern auch der gesamte Organisationsstammbaum und die verschiedenen Rollenmodelle hinterlegt sind (in kleineren Unternehmen ist dies in den Köpfen der Ideenmanagerinnen und Ideenmanager „hinterlegt“). Mit dem oben beschriebenen möglichen Wegfall von (hierarchischen) Organisationsstrukturen und zunehmender Fluidität von Rollen könnte dieser Teil zwar verschwinden – gleichzeitig entstehen (in größeren Unternehmen) als Ersatz dynamische „gelbe Seiten“ und andere Formen von Wegweisern, die das Auffinden der für ein Thema aktuell relevanten und zuständigen Know-how- und Kompetenzträger erleichtern sollen. Die Funktion eines „Ideenkompasses“ und die Kompetenz zur Unterstützung von komplexen Klärungs- und Abstimmungsprozessen würden damit nur noch wichtiger werden.
Mehrere Unternehmen arbeiten daran, diese Funktion durch Künstliche Intelligenz (KI) zu unterstützen (siehe etwa das Praxisbeispiel der Deutschen Post DHL Group im Blogbeitrag „Künstliche Intelligenz für das Ideenmanagement“). Auch wenn diese Ansätze derzeit noch in den Kinderschuhen stecken und keine befriedigenden Ergebnisse liefern, darf man dennoch davon ausgehen, dass früher oder später auch hierfür Lösungen entwickelt werden (vielleicht in einem nachfolgenden Kondratjew-Zyklus). Technologische Entwicklungen hatte ich im Blogbeitrag zu den „Kernelementen des Ideenmanagements“ als dritten Aspekt von zukünftigen Änderungen des Umfelds für das Ideenmanagement benannt, die besonders relevant sein werden.
Fazit zum Thema „Entscheidung“:
Mit der bereits erwähnten Aufweichung bzw. dem Abbau von Hierarchien und der zunehmenden Ermächtigung aller Mitarbeiter gehen vielfach Bestrebungen einher, bisherige Entgeltmodelle durch ganzheitliche Anerkennungs-, Vergütungs- und Leistungssysteme abzulösen (die ggf. die oben genannten Elemente von Freiheit bis Sinnstiftung einschließen). Ob sich in diesem Zuge auch Modelle ausbreiten werden, in denen sich die Mitarbeiter untereinander selbst einigen und gemeinsam festlegen, wer wieviel verdient bzw. in den Genuss welcher „Compensations“ oder „Benefits“ kommt, ist zwar fraglich und bleibt abzuwarten. Gleichwohl dürfte eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die bisherigen Prämierungssysteme des Ideenmanagements eher an Bedeutung verlieren als gewinnen. Das hatte ich bereits im Blogbeitrag „KVP, Ideen- und Innovationsmanagement – same, same, but different?“ mit Verweis auch auf den Einfluss der Globalisierung erwähnt.
Falls in zukünftigen Vergütungs- und Leistungssystemen eine Differenzierung nach Leistung, Qualifikation, Verantwortung oder was auch immer beibehalten wird (wovon ich ausgehe), wird man aber auch eine Kompetenz zur Beurteilung der Beiträge zum Ideenmanagement benötigen, um die individuellen Vergütungen und Leistungen „gerecht“ (nach dem dann herrschenden Wertesystem) festlegen zu können. Ob es im Interesse von Effizienz und Professionalität sinnvoll sein wird, Beurteilungskompetenz für die spezifische Leistungsart „Ideen vorschlagen“ an einer Stelle zu bündeln oder ob diejenigen, die in Zukunft die Beurteilungen vornehmen, über ausreichende Kompetenzen für alle Leistungsaspekte haben werden, lässt sich meiner Ansicht nach derzeit nicht einschätzen.
Neben der reinen Beurteilungskompetenz sind im Kontext Vergütung und Prämierung noch weitere Kompetenzen gefragt, etwa zu steuerlichen und Rechtsfragen sowie – im internationalen Kontext – zur Berücksichtigung von Kaufkraftunterschieden und zur Regulierung bei länderübergreifender Ideengenerierung oder -nutzung. Auch diese Kompetenzen werden zukünftig relevant bleiben.
Fazit zum Thema „Anerkennung“:
Welche Auswirkungen „New Work“ und das wachsende „Ökosystem“ der Methoden und Programme auf das Ideenmanagement als „Aufmerksamkeitsmanagement“ und „Ideation-Management“ haben könnten, erörtere ich im dritten Teil dieser Blogserie.
Lesen Sie mehr zur Zukunft des Ideenmanagements in den nachfolgenden Blogbeiträgen: