Der Paragraph 13 im „General-Regulativ“ von Alfred Krupp, dessen erste Druckfassung 1872 erschien, gilt gemeinhin als Ursprung des Ideenmanagements. Seitdem sind 150 Jahre vergangen – insofern stellt sich die Frage, wie es wohl mit dem Ideenmanagement in den nächsten 150 Jahren weitergeht? Letztlich zielt diese Frage nach dem Kern des Ideenmanagements: nach Funktionen und Eigenschaften, die so wesentlich sind, dass sie auch in einer Welt relevant sein werden, die sich von der unsrigen heute wahrscheinlich noch sehr viel mehr unterscheiden wird als die heutige von der zu Krupps Zeiten. Die Antworten sind auch für das Ideenmanagement in der Gegenwart aufschlussreich.
Hinweis der Redaktion: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern in diesem Artikel die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprachform hat nur redaktionelle Gründe und beinhaltet keine Wertung.
Ich zweifle nicht daran, dass noch in 150 Jahren Ideen benötigt werden (und es sie geben wird), und dass diese gemanagt werden müssen – insofern bin ich sicher, dass es auch im Jahr 2172 „Ideenmanagement“ geben wird. Ob man dann noch von „Ideen“ und „Management“ spricht oder dafür völlig neue Begriffe verwendet, ist eine ganz andere Frage. Auch die Geschichte des Ideenmanagements begann ja mit anderen Begrifflichkeiten – es ging um „Anregungen und Vorschläge“ und das Wort „Management“ kannte Alfred Krupp wahrscheinlich gar nicht.
Nachlesen können Sie diese Geschichte übrigens im Aufsatz „Kleine Geschichte des Ideenmanagements“ von Peter Koblank, in dem auch auf die Erwähnung von Vorschlägen in einem Arbeitsvertrag der chemischen Fabrik Merck aus dem Jahre 1853 hingewiesen wird. Auf die Schwierigkeiten, die man sich damit eingehandelt hat, statt von „Vorschlägen“ (und „Vorschlagswesen“) von „Ideen“ (und „Ideenmanagement“) zu sprechen, geht Koblank in einer separaten Schrift „Der Siegeszug eines irreführenden Begriffs“ ein.
Wie könnte diese Geschichte in den nächsten 150 Jahren weitergehen? Dieser Frage widme ich mich in diesem und zwei nachfolgenden Blogbeiträgen.
Hinweis: Soweit nicht ausdrücklich anders angemerkt, verwende ich in dieser kleinen Serie den Begriff „Ideenmanagement“ ausschließlich „im engeren Sinne“ (wie im Blogbeitrag „KVP, Ideen- und Innovationsmanagement – same, same, but different?“ erläutert).
Im „General-Regulativ“ tauchen bereits die meisten Elemente eines heutigen Ideenmanagements auf (siehe Abbildung 1):
Abbildung 1: § 13 im „General-Regulativ“ von Alfred Krupp (zitiert nach Schröder, Ernst [1956]: Alfred Krupps Generalregulativ. In: Tradition. Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographie. Vol. 1, 35-57. München: Bruckmeyer)
Diese Elemente sind in der schematischen Zusammenstellung in Abbildung 2 grau unterlegt. Nach unserem heutigen Verständnis von einem „Ideenmanagement“ würden wir noch folgende Elemente hinzufügen:Abbildung 2: Das Gesamtsystem „Ideenmanagement“ mit dem Zusammenwirken der auch in Zukunft relevanten Kernelemente. Die bereits im „General-Regulativ“ explizit benannten zentralen Themen sind grau unterlegt. Zum Verständnis: Ideen entstehen aufgrund von Wahrnehmungen und deren kognitiver Verarbeitung (beides oft zunächst unbewusst bleibend). Das kann durch gezielte Inspiration (z.B. Kampagnen) aktiv gefördert werden. Außerdem werden die Wahrnehmungs- und Verarbeitungsprozesse davon beeinflusst, wie sehr das Thema mit positiver Aufmerksamkeit besetzt ist. Ob eine im Kopf gedanklich bereits vorhandene Idee als Vorschlag eingereicht (und erst dadurch für das Unternehmen nutzbar gemacht) wird, ist eine Frage der Motivation. Positive Aufmerksamkeit und Motivation hängen davon ab, wie funktional der Workflow ist (Schnelligkeit, Transparenz zum Bearbeitungsstand), wie qualifiziert (und qualifizierend) das Feedback ist, wie Anerkennung vermittelt wird und wie sehr das Thema insgesamt (in Zielsystemen, in der Kommunikation, auf Leitungsebene) präsent ist. Basis für Präsenz ist ein kennzahlenbasiertes Managementsystem. Das alles unterliegt einem formalen Rahmen, der innerhalb des Unternehmens durch eine Prozessbeschreibung, eine Betriebsvereinbarung oder ein „General-Regulativ“ gegeben ist, außerhalb des Unternehmens durch Gesetze und Normen.
Seit 1872 hat sich das Umfeld des Ideenmanagements stark geändert – und es wird sich weiter ändern. Hier möchte ich nur drei Aspekte nennen, die in besonderer Weise für das Ideenmanagement relevant sind (siehe Abbildung 3):
Abbildung 3: Zeitstrahl und zukünftige Entwicklungen im Umfeld des Ideenmanagements
In zwei nachfolgenden Blogbeiträgen werde ich weiter vertiefen, welche Konsequenzen die beiden erstgenannten Entwicklungen auf die Kernelemente des Ideenmanagements haben könnten.
Aus dem Blick auf die (mögliche) Zukunft werden sich auch immer wieder Argumente für die Gegenwart ergeben: etwa gegenüber der Behauptung, „man bräuchte kein Ideenmanagement, wenn alle Mitarbeiter und Führungskräfte so motiviert und engagiert wären, wie sie es eigentlich sein sollten.“ Abgesehen davon, dass Aussagen nach dem Motto „wenn das Wörtchen wenn nicht wär…“ selten weiterhelfen, kann man sich dennoch auf die Überlegung einlassen, ob man tatsächlich kein Ideenmanagement bräuchte, wenn in einer zukünftigen schönen, neuen Arbeitswelt die Ideale von Motivation, Engagement, Selbstverantwortung usw. erfüllt sind. Ich werde versuchen, zu zeigen, dass sich dadurch am Bedarf, Ideen zu managen, nichts ändert.
Lesen Sie mehr zur Zukunft des Ideenmanagements in den nachfolgenden Blogbeiträgen: