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Kann man Unternehmenskultur kaufen? Durch den Kauf von Software?

Geschrieben von Carin Port | 25.10.17 13:21

Drei Kilo Kultur, bitte!

Vor einiger Zeit erhielten wir eine Ausschreibung in der beliebten Form einer Excel-Tabelle. In der ersten Spalte eine Beschreibung der Dinge, die der Kunde haben wollte, danach Spalten für „ist im Standard“, „erfordert Anpassung“, „nicht angeboten“. Da sollen Xe rein und natürlich eine letzte Spalte, in der der Preis/Aufwand angegeben wird.

Am Anfang kamen dann die üblichen Anforderungen. Das Vorgesetztenmodell bekam ein Standard-X, auch das dezentrale und *seufz* auch das zentrale Modell.

Ab Zeile 170 wurde es etwas ungewöhnlicher. „Schwarmintelligenz“ tauchte auf und der „Club der Denker“.

Ersteres ist ein häufig falsch verstandenes Konstrukt, bei dem es in der Realität weniger um Intelligenz als um Populismus geht - laut Verhaltensbiologe Professor Jens Krause bedarf es hierzu Individuen, die unabhängig voneinander Informationen sammeln und diese in sozialen Interaktionen verarbeiten und zusammenführen, was dann in der Lösung eines kognitiven Problems mündet. Aber wir alle wissen, was gemeint ist.

Der Club der Denker ist ein Motivationselement, das von der deutschen Post erfolgreich genutzt wurde und eigentlich auch recht wenig mit Software zu tun hat (ich weiß es, denn ich habe den Software-Schnipsel mal programmiert). Aber klar, da gibt's auch ein X für.

Und dann kam eine Zeile mit der Anforderungsbeschreibung „Kultur“.

Ernsthaft? Kultur? Wieviel denn? Drei Kilo? Darf’s auch ein bisschen mehr sein?

Wir haben erst herzhaft gelacht, uns dann die Hirne zermartert, wo man denn da jetzt wohl ein X machen soll. Und dann sind wir nachdenklich geworden.
Ja, Software kann Kultur beeinflussen. Ich glaube sogar, dass es heute ein wesentlicher Einflussfaktor ist.

Aber fangen wir am Anfang an.

Der Anfang

Das berühmte Generalregulativ von Alfred Krupp ist wahrscheinlich jedem Leser bekannt. Es wurde 1872 veröffentlicht und Krupp wies die Unternehmensleitung darin im §13 an:

„Anregungen und Vorschläge zu Verbesserungen, auf solche abzielende Neuerungen, Erweiterungen, Vorstellungen über und Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit getroffener Anordnungen sind aus allen Kreisen der Mitarbeiter dankbar entgegen zu nehmen und durch Vermittelung des nächsten Vorgesetzten an die Procura zu befördern, damit diese ihre Prüfung veranlasse. Eine Abweisung der gemachten Vorschläge ohne eine vorangegangene Prüfung derselben soll nicht stattfinden, wohingegen denn auch erwartet werden muss, dass eine erfolgte Ablehnung dem Betreffenden, auch wenn ihm ausnahmsweise nicht alle Gründe dafür mitgetheilt werden können, genüge und ihm keineswegs Grund zur Empfindlichkeit und Beschwerde gebe. Die Wiederaufnahme eines schon abgelehnten Vorschlages unter veränderten tatsächlichen Verhältnissen oder in verbesserter Gestalt ist selbstredend nicht nur zulässig, sondern empfehlenswert.“

Haben Sie das wirklich gelesen? Lesen Sie es noch einmal.

Da sind nicht nur Verbesserungen dankbar anzunehmen. Da sollen auch Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit von Anordnungen angenommen werden. Dankbar!

Wenn DAS nicht Kulturwandel war, immerhin reden wir vom neunzehnten Jahrhundert! Und selbst heute kann ich mir bei den meisten Unternehmen nicht vorstellen, dass eine Idee, die eine gegebene Anordnung einer Führungskraft kritisiert, besonders dankbar angenommen wird.

Eine lange Zeit war das „Betriebliche Vorschlagswesen“ dann mehr oder weniger erfolgreich. Ideen wurden auf Papier eingereicht, die meisten von einem einzelnen Ideengeber.

Auch die Einführung der ersten Software 1984 (Koblank) bildete eigentlich nur die Gegebenheiten der realen Welt ab. Es war natürlich eine unglaubliche Arbeitserleichterung für die Mitarbeiter des „BVW“, änderte aber für die Ideengeber nichts.

Kulturrevolution

Die nächste kulturelle Revolution begann ca. 1995 und sie ist immer noch nicht ganz abgeschlossen. Mit den ersten Anwendungen, die „im Netz“ liefen (z.B. Koblank mit „Das BVW-Programm“, ikom auf Lotus Notes mit „Idee-Fix“ und später „Smartidee“), bestand theoretisch die Möglichkeit, dass sich Mitarbeiter am Computer die Ideen von anderen Mitarbeitern ansehen konnten.

Das war eine Gaudi!

Ich war dabei und Sie können sich die Diskussionen nicht vorstellen. „Ideenklau“ war das meist gebrauchte Wort und alle Anbieter und Berater mussten sich mit dem Dilemma herumschlagen, dass alle Kunden „Transparenz“ auf ihre Fahnen und in ihre Pflichtenhefte schrieben, dann aber zurückzuckten, wenn man ihnen sagte, dass Transparenz bedeutet, dass Menschen mehr sehen dürfen, als ihren eigenen Vorschlagstext auf Nachfrage beim „BVW-Beauftragten“.

Und hier wird die Sache spannend. Wir erleben diese Diskussion heute noch bei manchen Unternehmen. Gott sei Dank heute ausschließlich mit dem Resultat, dass es natürlich Sinn macht, transparent zu sein und sowohl Entscheidungen, als auch deren Grundlagen für Mitarbeiter einsehbar zu machen.

Ideenklau

Unsere Software hat den schlimmsten Button der Welt. Er heißt „Copy & Built“, was viel besser klingt als „Kopieren und Entwickeln“ und noch viel besser als „Klauen und Besser machen“.

Genau das soll dieser Button nämlich vereinfachen: Ein Mitarbeiter sieht eine Idee, vielleicht ist sie abgelehnt worden, drückt auf den Button und erhält eine neue Idee, in der er selbst als Einreicher steht und in der er selbst Änderungen vornehmen und sie dann einreichen kann.

Ja, genau. Das ist eine Unterstützung zum Ideenklau.

Ich will hier nicht die fachliche Sinnhaftigkeit des Buttons diskutieren. (Natürlich ist es sinnvoll, aus einer schlechten Idee eine gute zu machen oder aus einer guten eine bessere.)

Interessanter ist die Überlegung, was passiert mit Mitarbeitern, wenn sie diesen Button sehen und die Funktionsweise begreifen?

Es wird bestimmt ein paar geben, die eine erfolgreiche Idee kopieren und sie im eigenen Namen einreichen. Nach dem dritten Mal sollte auch der bildungsfernste Mensch begriffen haben, dass er das erstens auch ganz ohne den Button machen könnte (indem er die Inhalte mit Strg+C und Strg+V einfach überträgt) und dass zweitens der Button natürlich eine Referenz auf die ursprüngliche Idee erzeugt. Jeder Anwender kann also sehen, auf welcher Idee diese Idee basiert, von wo sie „geklaut“ ist.

Die klügeren werden dann vielleicht in Fällen, wo das Sinn macht, den ursprünglichen Ideengeber kontaktieren, die Schwachstellen der ursprünglichen Idee und deren Potentiale mit ihm besprechen und ihn als Miteinreicher in die neue Idee aufnehmen.

Und damit ändert sich die Kultur: Vom Einzelkämpfertum zur Zusammenarbeit.

In Japan ist dieser Button übrigens äußerst beliebt. Gute Dinge zu „stehlen“ und besser zu machen wird als Kompliment verstanden. Auch eine kulturelle Perspektive, die man wenigstens mal überdenken sollte.

Damit verbunden ist in der westlichen Welt eine weitere Entwicklung, die des öffentlichen Anprangerns. Was passiert auf YouTube, wenn Inhalte kopiert und der ursprüngliche Autor nicht genannt wird? Man kommt ein paar Mal damit durch, speziell dann, wenn man klein, unwichtig und erfolglos ist. Aber wenn man das öfter macht oder so einen erfolgreichen Beitrag erzeugt hat, hagelt es Beiträge, in denen sich andere YouTuber beschweren und die Frechheit bloßstellen.

Dass solch ein Verhalten also eher schädlich statt nützlich ist, lernen natürlich nicht nur die aktiven Content-Ersteller, sondern auch alle Nutzer, die die Anpranger-Videos sehen.
Eine Kulturänderung die man gut oder schlecht finden kann, die aber über kurz oder lang auch in Unternehmen Einzug halten wird. Die meisten Menschen, die sich im Netz bewegen, entwickeln ein ganz gutes Gespür dafür, was es heißt, in einem wirklich transparenten, für viele sichtbaren System zu agieren. Und sie werden sich meist entsprechend klug verhalten.

Spaß

Ich glaube, das ist wohl der größte Kulturwandel, den Software auslösen kann. Die Idee, dass es Spaß machen kann, zu arbeiten.

Wenn Sie Ihren Anwendern eine Software geben, bei der man froh ist, wenn man die Idee abgeschickt hat und das System wieder schließen kann, werden Sie diesen Kulturwandel wohl nicht erleben.

Die meisten Anwendungen versuchen allerdings heutzutage, dem Anwender zu gefallen, ihm „Spaß“ zu bereiten.

Der Einfluss auf die Einstellung der Mitarbeiter ist gigantisch. Wenn Sie ein Problem lösen können, das sie schon ewig nervt, dazu in der Software Unterstützung von klugen Menschen bekommen, mit denen Sie vorher noch nie Kontakt hatten, mit Kollegen diskutieren und dabei Ihren Horizont erweitern, dann wird sich die Einstellung von „ich habe eine Idee abgegeben, jetzt erwarte ich eine Belohnung dafür“ ganz schnell zu „ich habe gemeinsam mit anderen etwas Großartiges gemacht“ wandeln.  

Und da wollen wir doch alle hin: Glückliche Menschen, die mit Freude arbeiten und ihre Kreativität zum Wohle des Unternehmens nutzen. (Ja, ich liebe meine rosa Wolke!)
Und jetzt verrate ich ein Geheimnis, bitte sagen Sie es nicht weiter! Wir haben eine Spaß-Funktion in unserer Software, die niemand bemerkt und die man nicht abschalten kann. Die Bilder. Bilder an Ideen, Bilder an Usern, Bilder in Kampagnen. Überall sind Bilder.
Und wir erklären am Anfang einmal, dass es sinnvoll ist, weil Bilder einen höheren Wiederkennungswert haben, als z.B. eine Ideennummer. Ok, das kann man wissenschaftlich belegen, muss man aber noch nicht mal, weil es jedem irgendwie klar ist. Über diesen Punkt wird dann auch nie wieder diskutiert.
Das liegt aber nicht daran, dass die Begründung so gut ist, ganz bestimmt nicht. Der eigentliche Grund für die Bilder ist nämlich der Spaßfaktor. Es macht den meisten Anwendern Spaß, sich auf die Suche nach einem treffenden, lustigen oder einfach nur schönen Bild zu begeben. Und es sieht schöner aus. Punkt. Eine Begründung, mit der man Kunden üblicherweise nicht überzeugen kann, wenn man sie laut ausspricht.

An dieser Stelle machen wir einen kleinen Exkurs: Es ist immer wieder verblüffend zu sehen, wie wenig Vertrauen Manager in ihre eigene Führungskompetenz haben. Sie setzen einen Anreiz, etwas zu machen und wundern sich dann, dass die meisten Mitarbeiter das tun. Sie zeigen in eine Richtung, in die gelaufen werden soll und wundern sich dann, dass der Schwarm ihnen folgt. (Exakt, DAS ist Schwarmintelligenz).

Vertrauen Sie einfach einmal Ihren eigenen Fähigkeiten. Wenn Sie den Anreiz geben, oder auch nur die Erlaubnis, werden Ihnen die Mitarbeiter im Normalfall folgen.

Wenn Sie also eine Software nutzen, in der es beispielsweise möglich ist, Ideen von anderen Kollegen zu diskutieren – dann gehen Ihre Mitarbeiter davon aus, dass das gewünscht ist. Und dann werden sie das auch tun.

Sie erlauben die Kommunikation und Arbeiten im Team über Bereichsgrenzen hinweg? Sie werden ganz schnell internationale und interdisziplinär besetzte Ideen bekommen.

Sie machen eine Kampagne zur Lösung eines konkreten Problems? Schaufeln Sie schon einmal Ressourcen frei, um die Ideen zu begutachten. (Das gilt nur für gute Kampagnen. Nur „Umweltschutz 2016“ ist keine.)

Sie nutzen eine Software die Spaß macht und fördern „Spaß“-Funktionen? Ihre Mitarbeiter werden es Ihnen danken und Spaß und gute Ideen haben.

Zugehörigkeit

Ende der Neunziger habe ich ein Unternehmen beraten, das gerade von einem anderen Unternehmen der gleichen Branche, also einem Konkurrenten, übernommen worden war. Da saßen dann nach ein bisschen Restrukturierung Mitarbeiter in einem Büro, der eine mit einem Arbeitsvertrag von der X-AG, der andere mit einem Vertrag von der übernommenen Y-AG.
Die Reinigungskräfte haben die Topfpflanzen auf der Seite von Y gegossen, auf der Seite von X nicht. Das ist kein Scherz! Das ist Bestandsschutz und vielleicht einer der Gründe, warum Y geschluckt wurde!?

Natürlich waren auch die Prämierungsmodelle im „BVW“ bestandsschutztechnisch übernommen worden. Der Y-Kollege erhielt also für eine Idee mehr Prämie, als der X-Kollege.

Wir haben damals alle gedacht, dass sich das Problem ganz schnell löst. Irgendwie werden sich die Leute zusammenschließen und dann reicht halt der, der mehr kriegt, zusammen mit dem anderen ein, die Anteile werden entsprechen verteilt und insgesamt wird sich die Anzahl der Ideen nicht ändern, die Summe der Prämie aber schon, die Leute sind ja nicht doof.

Weit gefehlt!

Es gab viel weniger Ideen und kaum welche mit gemischten XY-Ideengebern. Warum nicht? Naja, die Y-Mitarbeiter waren grundsätzlich sauer. Übernommen zu werden hat ein bisschen den Stolz verletzt und sie fühlten sich nicht wirklich zu Hause in der neuen Firma.

Die X-Kollegen, also eigentlich die Gewinner in der Übernahme, fühlten sich benachteiligt, weil sie weniger Prämie bekamen.

Diese Situation gibt es heute noch in vielen Unternehmen. Es werden bei Übernahmen und Mergern alle möglichen Dinge besprochen und vereinheitlicht, an die Betriebsvereinbarung zum BVW denkt erst mal keiner. Und natürlich hat das einen Einfluss auf das Empfinden und Verhalten der Mitarbeiter. Wenn ich unterschiedliche Ziele setze, unterschiedliche Bewertungsmaßstäbe anlege und unterschiedliche Transparenz biete, kann ich dann erwarten, dass sich die Mitarbeiter als „Eins“ fühlen?

Auch so kann die Software also die Kultur im Unternehmen beeinflussen. Sie kann Unterschiede betonen und spalterisch wirken, oder vereinen und gemeinsame Ziele postulieren.

Also ja, Kultur kann man kaufen. In einem gewissen Maß zumindest. Durch Software lassen sich viele Dinge in besimmte Richtungen leiten und beeinflussen, die ohne sie wohl nicht so leicht möglich wären. Sie hilft, stützt, vereinfacht und verändert. Nicht nur komplizierte Prozesse, sondern auch wie wir miteinander arbeiten. 

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