Wer heute innovativ und wettbewerbsfähig bleiben will, muss schnell und flexibel auf Veränderungen reagieren. Traditionelle Ansätze im Ideenmanagement stoßen dabei oft an ihre Grenzen. Dieser Beitrag zeigt, wie Sie durch agiles Ideenmanagement die Innovationskraft Ihres Unternehmens steigern und welche Schritte notwendig sind, um diese und auch radikalere, grenzüberschreitende Methoden erfolgreich zu implementieren.
Nehmen wir an, eine Organisation will sich verbessern. Sie lädt Experten zu verschiedenen Ansätzen zu einem Vortrag ein, und ich soll über das Ideenmanagement berichten. Große Überraschung, als ich nur wenig zum Betrieblichen Vorschlags-Verwaltungswesen sage, aber viel zu Lean Management, agilem Vorgehen und deren Verbindung zum Ideenmanagement.
Natürlich werden Mitarbeitende immer wieder spontane Idee haben. Dann brauchen Organisationen einen Weg, diese Ideen als Verbesserungsvorschläge einzubringen. Aber das allein reicht nicht, um die Zukunft zu meistern. Bevor ich auf einzelne agile Methoden eingehe, möchte ich zunächst die beiden Konzepte erklären, die in diesem Blogbeitrag miteinander verbunden werden: Ideenmanagement und Agilität.
Vorab: Es gibt keine "richtige" oder einheitliche Definition von Ideenmanagement. Entscheidend ist, was in Ihrer Organisation funktioniert. Grundsätzlich gibt es vier typische Definitionen von "Ideenmanagement":
1. Möglichkeit: Ideenmanagement ist Betriebliches Vorschlagswesen
Ideenmanagement wird oft synonym mit "Betriebliches Vorschlagswesen" (BVW) verwendet. In schweizerischen Texten ist das eine häufige Verwendung, und dort ist das ganz neutral gemeint. Manchmal wird "Ideenmanagement" gesagt, wenn tatsächlich ein Betriebliches Vorschlagswesen gemeint ist, aber die Autoren ein schlechtes Gewissen haben, weil das Vorschlagswesen doch ein so altes Konzept ist. Da hört sich "Ideenmanagement" einfach moderner an. Daher hier noch einmal klar: Es gibt Organisationen und Situationen, in denen ein schlichtes, altertümliches Betriebliches Vorschlagswesen genau die richtige Methode ist. Die erste Verwendung von "Ideenmanagement" ist also Betriebliches Vorschlagswesen.
2. Möglichkeit: Ideenmanagement ist Betriebliches Vorschlagswesen plus Kontinuierlicher Verbesserungsprozess
In den Jahren um 1990 wurde Kaizen infolge der Publikation von Masaaki Imai breit diskutiert. Vereinfacht die These: Kleinschrittige Verbesserungsprojekte mit Mitarbeiterbeteiligung verschaffen der japanischen Wirtschaft einen großen Wettbewerbsvorteil. Während die japanische Wirtschaft florierte, war das Vorschlagswesen in einigen deutschen Unternehmen nicht so effektiv. An einigen Stellen wurde das überkommene Vorschlagswesen infrage gestellt.
Die Reaktion einiger Beauftragter für das Betriebliche Vorschlagswesen: Kaizen ist ja fast so etwas wie der Kontinuierliche Verbesserungsprozesses (KVP). Das kennen wir, das ist irgendwie unsere Expertise. Und so bündelten einige Unternehmen KVP und das Betriebliche Vorschlagswesen und nannten die neue Abteilung "Ideenmanagement". Bei guter Umsetzung übernahm dieses Ideenmanagement auch einige Erkenntnisse aus dem Kaizen. Die zweite Verwendung von "Ideenmanagement" ist also die Summe aus Betrieblichem Vorschlagswesen und Kontinuierlichem Verbesserungsprozess.
3. Möglichkeit: Ideenmanagement ist Betriebliches Vorschlagswesen plus Kontinuierlicher Verbesserungsprozess plus weitere Methoden
Der Ansatz, Konzepte zu addieren, hat sich bewährt und wurde fortgeführt. So kann unter "Ideenmanagement" die Summe aus Vorschlagswesen, Verbesserungsprozess, Workshops zu Qualitätsmanagement und vielleicht noch Beschwerdemanagement für Kunden des Unternehmens verstanden werden.
4. Möglichkeit: Ideenmanagement ist die Klammer für alles, was das Unternehmen voranbringt, unter Einbeziehung der Belegschaft
Der letzte Schritt dieser Entwicklung des Konzepts "Ideenmanagement" wird durch umtriebige Ideenmanager umgesetzt. Sie bündeln alle Ansätze aus Ideen- und Innovationsmanagement und agieren im Grunde wie interne Unternehmensberater. Auf der Visitenkarte mancher Manager mag noch "Ideenmanager" stehen, aber tatsächlich betreiben sie Business Excellence, Lean Management und Innovationsscouting. Agile Methoden sind integraler Bestandteil ihres Angebots, einschließlich Schulungen und Coaching für agile Projekte. Wo sinnvoll, arbeiten diese Abteilungen selbst agil, entwickeln beispielsweise schnell Angebote und optimieren diese auf Basis internen Kundenfeedbacks, ohne zu viel Zeit und Energie in Dokumentation und Abstimmungsprozesse zu stecken. Ideenmanagement fungiert hier also als Dach für unternehmensweite Fortschritte, als Klammer für alles, was das Unternehmen irgendwie voranbringt, wobei die Mitarbeitenden aktiv eingebunden werden.
Es gibt also keine eindeutige Definition. Die Vielfalt der Ansätze zeigt, dass unterschiedliche Unternehmen unterschiedliche Wege gehen können, um ihren Nutzen zu maximieren.
Der Duden definiert "agil" als "von großer Beweglichkeit zeugend; regsam und wendig". Das geht sehr in die Richtung, in der agil auch in Betrieben verwendet wird. Im Alltag spricht zwar niemand von einem "regsamen Ideenmanagement", aber wer ein wenig Erfahrungen mit dem Ideenmanagement in verschiedenen Unternehmen gemacht hat, der kennt eindeutig "nicht regsame" Ideenmanager und dagegen auch Ideenmanager, deren Aktivitäten wirklich "von großer Beweglichkeit zeugen." Letztere würde man auch in der Sprache der Betriebe agil nennen.
In diesem Sinne heißt "agil" also, dass ziemlich schnell etwas passiert, etwas halbwegs Zielführendes auf jeden Fall, aber nicht notwendig die optimale Lösung gefunden wird. "Agil" hat eher den Ansatz "probieren wir doch mal, ob das geht". "Agil" heißt weniger "lasst uns noch eine Analyse machen, eine Abstimmungsrunde einberufen, ein Gutachten einholen". "Quick and dirty" ist zwar nicht das gleiche wie agil, kommt dem aber schon sehr nahe.
Präziser hat dies das Manifest für Agile Softwareentwicklung beschrieben, so kurz und prägnant, dass es hier vollständig zitiert werden soll:
"Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen.
Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:
Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein."
Abb. 1: Agiles Manifest (Quelle: Agile Manifesto)
Offensichtlich kann man mit diesen Werten nicht nur Software entwickeln. Sehen wir uns das Manifest etwas näher an. Entwickelt wurden diese Werte aus der Praxis, aus dem Tun, nicht aus theoretischen Überlegungen. In die gleiche Richtung geht der Wahrheitsanspruch: Die Autoren haben die Werte selbst kennengelernt. Sie betonen die Werte, ohne das Gegenteil zu vernachlässigen. Freundlicher und diplomatischer kann man einen Neuansatz wohl kaum formulieren. Daher wurde das Agile Manifest weitgehend ohne Widerspruch angenommen und galt lange Zeit als gutes Konzept. Mit der Diskussion um postagiles Management ändert sich das gerade, dazu mehr im letzten Kapitel dieses Blogbeitrags.
Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge. Wer könnte dem widersprechen? Diesen Text schreibe ich kurz nach dem Deutschen Ideenmanagement Forum in Köln. Was haben die Vorträge präsentiert, worüber haben wir diskutiert? Ja, über Prozesse und Werkzeuge. Ja, einige Originale waren dabei, Menschen mit Ecken und Kanten, die in Erinnerung bleiben. Ja, es gab viel Zeit für Interaktionen, in diesem Umfeld "Netzwerken" genannt. Doch typische Fragen des Ideenmanagers bleiben: Welche Prozesse nutzt Ihr im Ideenmanagement? Welche Werkzeuge? Die Frage lautet weniger: Welche wirklich originellen Menschen habt Ihr im Unternehmen? Wie passt Ihr das Ideenmanagement so an, dass sich diese Menschen richtig gut beteiligen können? Wie identifiziert Ihr Originale und wie bezieht sie ein?
Funktionierendes ist wichtiger als Dokumentation. Hier gibt es einen Selektionseffekt: Bei Veranstaltungen und Veröffentlichungen zum Ideenmanagement stehen dokumentierte Zahlen, Daten und Fakten im Vordergrund, das ist einfach die Basis. Ab und zu stoße ich auf Unternehmen, die richtig gut sind, aber nur wenig dokumentieren. Gerade kleinere Unternehmen haben den Ansatz: Wir wollen besser werden, aber keine Datenfriedhöfe erheben. Mein Bauchgefühl und meine Erfahrungen sagen: Dort werden gute Innovationen entwickelt und umgesetzt, aber das lässt sich nicht beweisen, da fehlen einfach die Kennzahlen.
Zusammenarbeit mit Kunden? Haben Ideenmanager ein klares Konzept, wer ihre Kunden sind? Wenn geklagt wird, dass Führungskräfte das Ideenmanagement nicht unterstützen, brauchen die Kunden dieses Produkt vielleicht nicht. Statt "Prämien für Entscheider" wäre vielleicht manchmal mehr Zusammenarbeit sinnvoll. Umgekehrt: In manchen Unternehmen sind Ideenmanager sehr erfolgreich, bringen Nutzen, haben hohes Ansehen. Sie moderieren Workshops, erstellen Bildergeschichten als grafische Protokolle, sammeln Ideen bei Kunden, betreiben aber kaum klassisches Vorschlagswesen. "Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Befolgen der Betriebsvereinbarung", wäre vielleicht ein passendes Prinzip für das Ideenmanagement.
Reagieren auf Veränderung? "Was gibt es Neues im Ideenmanagement?" Wenn die Antwort lautet: "Eigentlich nichts", und klar ist, dass sich die Welt in den Betrieben stark ändert, dann gibt es ein Problem. Klassisches Vorschlagswesen liefert selten gute Ergebnisse, während modernes Ideenmanagement kaum noch mit den traditionellen Konzepten von Vorschlagswesen und KVP zu tun hat. Dennoch sind beide Ansätze wichtig. Heißt: Auch ein nicht-agiles Ideenmanagement muss sich um das Vorschlagswesen und den kontinuierlichen Verbesserungsprozess kümmern. Das wird dem Unternehmen zwar nicht zum großen Durchbruch verhelfen, aber den Mitarbeitern bestätigen, dass alles mit rechten Dingen zu geht, es wird Kreativität und Problemlösung fördern und so den Boden für agilere Ansätze bereiten. Es geht hier nicht um ein "entweder oder", sondern um das Verschieben von Schwerpunkten.
Damit haben wir die beiden Grundkonzepte dieses Textes vorgestellt: Ideenmanagement und agil. Sehen wir uns nun Ansätze von agilem Ideenmanagement an.
Im klassischen Betrieblichen Vorschlagswesen gibt es einen einzigen Weg, wie Verbesserungsvorschläge bearbeitet werden:
Die einzigen "Variationen" sind, dass einige Bearbeitungsschritte mehrfach durchlaufen werden können. Wenn ein Gutachten zu keiner klaren Entscheidung führt, brauchen wir ein zweites Gutachten. Wenn der Einreicher mit der Entscheidung der Kommission nicht einverstanden ist, muss sich die Kommission den Vorschlag erneut prüfen.
Dabei wäre in vielen Fällen klar, was ein besserer Weg ist. Sehen wir uns drei Beispiele an, sozusagen frisch aus dem Eingangskorb des Ideenmanagers gegriffen.
Ein erster Vorschlag zur Installation einer Photovoltaik-Anlage auf dem Fahrradunterstand wird sieben Mal abgelehnt, da der Standort im Schatten liegt. Der Fahrradunterstand liegt im Schatten, die Statik müsste kostspielig verbessert werden, der Vorschlag wird ein achtes Mal abgelehnt. Statt eine Vorgangsnummer zu vergeben und den weiteren Weg einzuschlagen, könnte der Ideenmanager ein PDF verschicken mit einer ausführlichen Begründung. Nur wenn der Einreicher mit dieser spontanen Ablehnung nicht einverstanden ist, wird eine Vorgangsnummer vergeben und die Kommission befasst sich damit.
Der zweite Vorschlag fällt klar in den Bereich von Betriebsingenieur Meyer. Meyer ist seit zwanzig Jahren im Haus, kennt seine Maschinen, kann gut mit allen Mitarbeitern reden, nur das Schreiben ist wirklich nicht seine Stärke. Der optimale Prozess wäre hier: Der Einreicher und Meyer treffen sich an der Maschine, besprechen den Vorschlag, am Ende gibt es ein Protokoll, das vielleicht nur aus dem einen Satz besteht: "Der Vorschlag ist gut, wird 10.000 Euro im Jahr einsparen." Was da technisch ganz genau verbessert wird, wird außer dem Einreicher und Meyer sowieso niemand im Betrieb genau verstehen, und das ist auch gar nicht nötig.
Der dritte Vorschlag kommt von Dr.-Ing. Schulze. Er war bis vor drei Jahren das Genie der Entwicklungsabteilung, nun ist er im Ruhestand und tüftelt an den Problemen, für die er früher keine Zeit hatte. In den letzten drei Jahren hat er vier Verbesserungsvorschläge eingereicht, alle vier wurden zu Patenten. Der optimierte Prozess ist, auch den neuen Vorschlag direkt in die Patentabteilung zu geben, dazu braucht man keine Vorgangsnummer und keinen Beschluss der Kommission, auch wenn das das Standardvorgehen wäre.
In der Praxis stößt der Vorschlag "Individuelle Prozess für jede Idee" manchmal auf die Reaktion "das wird doch alles zu komplex, wer soll das entscheiden, da behält doch niemand mehr den Überblick". Auch in der Ideenmanagement-Studie 2023 haben nur wenige Ideenmanager von flexiblen Prozessen berichtet. Ich hoffe, die Beispiele haben gezeigt, dass es manchmal gar nicht so komplex ist.
In vielen Verwaltungen und bei einigen Dienstleistern steht das Ideenmanagement vor einer besonderen Problematik: Die Mitarbeitenden entwickeln und reichen Verbesserungsvorschläge ein, die oft auch sinnvoll sind. Die Umsetzung wird beschlossen, eine Prämie ausgezahlt. Doch kaum ein Vorschlag wird tatsächlich umgesetzt. Für Unternehmen wie Banken, Hausverwaltungen oder Online-Händler ist Software ganz zentral. Fast jede Verbesserung erfordert eine Änderung der Software. Die IT-Abteilung hat eine gefühlt endlos lange Liste mit Änderungswünschen, wobei die meisten nicht einmal aus dem Ideenmanagement stammen.
Dann wird priorisiert, und Änderungen mit dem höchsten Nutzen pro Programmierstunde werden umgesetzt. Viele gute Verbesserungsvorschläge werden nicht umgesetzt – und zwar nur, weil ihr Nutzen im Vergleich zu anderen Änderungen geringer ist. Was wiederum die Mitarbeitenden abschreckt, weitere Verbesserungsvorschläge einzureichen.
In dieser Situation wäre es unsinnig, im Ideenmanagement eine Kampagne für neue Ideen zu starten. Der Engpass ist die IT, dieser muss angegangen werden. Hier kann agiles Vorgehen im Sinne agiler Softwareentwicklung ein bewährter Ansatz sein.
Wenn ein Unternehmen an bestimmten Punkten deutlichen Verbesserungsbedarf hat, kann der Ideenmanager beispielsweise eine Kampagne im betrieblichen Vorschlagswesen starten. Oder fachlich geeignete Mitarbeitende können in einer KVP-Gruppe gemeinsam Verbesserungsideen entwickeln. Beide Prozesse sind etabliert und führen zu guten Ergebnissen, dauern aber Wochen oder Monate. Was, wenn eine Verbesserung schnell umgesetzt werden muss?
Hier kommt das Konzept "Sprint" von Jake Knapp in Spiel. Knapp beschreibt, wie man innerhalb von fünf Tagen mit einem kleinen Team einen Prototypen entwickelt, um schnell Feedback von Kunden zu erhalten und zu prüfen, ob die Idee funktioniert. Die Methode ist also eine sinnvolle Erweiterung für das Ideenmanagement in Richtung agiles Ideenmanagement.
Das Grundkonzept eines Ideen-Sprints lässt sich flexibel anpassen – eine agile Methode sollte selbst agil einsetzbar sein. Der typische Ablauf eines Ideen-Sprints erstreckt sich über fünf Tage:
Während des Ideen-Sprints ist Konzentration besonders wichtig, damit die Teilnehmer effektiv zusammenarbeiten können. Handys oder Laptops sollten tabu sein, sie lenken nur ab. Auch eine schnelle Entscheidungsfindung durch die involvierten Entscheider ist wichtig, um den Prozess zu beschleunigen. Insgesamt bieten Ideen-Sprints eine effiziente Möglichkeit, schnell zu innovativen Lösungen zu gelangen und Kundenfeedback einzuholen. Es hört sich vielleicht widersprüchlich an, aber Sprints sind sozusagen ein Standard-Vorgehensmodell für agiles Ideenmanagement.
Die Ideenmanagement Studie 2023 zeigt, dass Unternehmen mit agilen Methoden einen höheren Nutzen pro realisierter Idee erzielen: Mit durchschnittlich 6.248 Euro (Median: 2.544 Euro) liegen sie deutlich über dem Durchschnitt aller Unternehmen mit 4.353 Euro (Median 1.728 Euro).
In einer zweiten Auswertung wurden die klassischen schlanken Unternehmen betrachtet, die Lean Management, agile Methoden und Scrum einsetzen. 37 schlanke Unternehmen wurden dabei ausgemacht. Bei ihnen liegt der berechenbare Nutzen mit durchschnittlich 7.077 Euro (Median: 2.544 Euro) noch einmal höher. Die Prämie für eine Idee mit berechenbarem Nutzen beträgt bei schlanken Unternehmen im Durchschnitt 877 Euro (Median: 474 Euro), im Gegensatz zu den nicht schlanken Unternehmen mit 590 Euro (Median 153 Euro).
Schlankes Wirtschaften lohnt sich also für Unternehmen und für die Mitarbeitenden.
AEG Olympia hat die Schreibmaschinen immer und immer weiter verbessert, bis zum Ende. Kodak und Polaroid, Hertie und Galeria-Kaufhof-Karstadt: Beispiele für Unternehmen, die ihr ursprüngliches Geschäftsmodell optimiert, aber nicht gesehen haben, was sich außerhalb ihres angestammten Geschäftsmodells entwickelt hat, die vielleicht auch einfach nicht den Mut oder die Energie hatten, sich radikal neu zu erfinden. Ideenmanagement sollte klüger sein.
Agiles Ideenmanagement optimiert das ursprüngliche Geschäftsmodell des Ideenmanagements. IBM PCs haben die Schreibmaschinen überflüssig gemacht, das iPhone hat Fotoapparate überflüssig gemacht und Amazon macht gerade stationäre Kaufhäuser überflüssig. Wer macht das Ideenmanagement überflüssig? Was sind PCs, iPhone und Online-Versandhandel für das Ideenmanagement, auch für richtig agiles Ideenmanagement? Zum Abschluss dieses Blogbeitrags möchte ich zwei Konzepte vorstellen, die deutlich über Agilität hinausgehen.
Gehen wir in der Diskussion also einen Schritt weiter: Wie sieht es aus, wenn agile Denk- und Handlungsweisen nicht nur im Ideenmanagement einziehen, sondern das gesamte Unternehmen davon durchzogen ist? Humanocracy heißt dieser Ansatz, Humanokratie: menschenzentriertes Wirtschaften als Gegensatz zur Bürokratie. Das Konzept wurde bereits vor einigen Jahren von dem US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Gary Hamel formuliert. Jetzt hat Bill Anderson, der neue Vorstandsvorsitzende von Bayer, Humanokratie zur Grundlage der weltweiten Neuausrichtung des Konzerns erklärt. Schon deshalb wird man von diesem Konzept noch einiges hören, innerhalb und außerhalb der Ideenmanagement-Szene.
Schauen wir uns dazu die aktuelle Gallup-Studie an, genauer gesagt den Gallup Engagement Index Deutschland. Diese Langzeitstudie gibt Aufschluss über die emotionale Bindung von Beschäftigten an ihren Arbeitgeber und ist ein wichtiger Indikator für die Führungskultur und das Arbeitsumfeld in Deutschland. Nur 13 % der Befragten haben demnach eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber. Gerade 55 % beabsichtigen, in einem Jahr noch bei diesem Arbeitgeber zu sein. Ok, über die Gallup-Studie kann man streiten. Unstreitig ist aber, dass sich viele Menschen an ihrem Arbeitsplatz nicht wohl fühlen.
Was kann das Konzept der Humanokratie hier bewirken?
"Wir werden durch die Zwecke definiert, denen wir dienen. Unsere Identität wird in den Herausforderungen entdeckt, die wir annehmen. So bescheiden unsere Mittel und begrenzt unsere Fähigkeiten auch sein mögen, wir können uns einer edlen Aufgabe widmen und uns daran begeistern. Glücklicherweise gibt es genügend lohnende Probleme,
wie den Bau von Maschinen, die denken,
die Reduzierung von CO2-Emissionen,
die Überwindung von rassischer Disharmonie,
den Kampf gegen antibiotikaresistente Superkeime,
die Beendigung des Menschenhandels und den
Bau von Lebensräumen auf anderen Planeten."
Abb. 2: Auszug aus dem Buch “Humanocracy“ von Gary Hamel (Quelle: Schat)
Abbildung 2 zeigt einen Auszug aus dem bereits erwähnten Buch “Humanocracy: Mehr Mensch, weniger Bürokratie – der Schlüssel zum erfolgreichen Unternehmen der Zukunft.“ Die Kapitelüberschrift zu den zitierten Zeilen könnte vielleicht heißen "Ganz Mensch sein". Das Buch hinterfragt traditionelle Managementmodelle und vermittelt Strategien für den Aufbau agiler, resilienter Organisationen. Hier geht es ums Ganze, nicht um kleine Optimierungen, wie vielleicht hier ein bisschen mehr Schulung, da eine bessere Arbeitsorganisation, dort ein wenig Mitarbeiterbeteiligung. Nein, hier geht es grundsätzlich um den Menschen in der Arbeitswelt. Und es geht um lohnende Probleme, die Unternehmen bearbeiten sollen.
Ok, soweit die ersten Überlegungen. Wie sieht Humanocracy nun in der Praxis aus?
In seinem Buch stellt Gary Hamel Nucor vor, einen der größten Stahlproduzenten Amerikas. 2018 lieferte das Unternehmen mit 26.000 Beschäftigten 27,9 Millionen Stahl aus und generierte damit 25 Milliarden Dollar Umsatz. Zum Vergleich: Bayer hat knapp viermal so viele Beschäftigte und etwa doppelt so viel Umsatz, spielt also in etwa in der gleichen Liga.
Nucor ist stark dezentralisiert und besteht aus 75 Einheiten, mit jeweils einem oder zwei Betrieben und durchschnittlich 330 Millionen Dollar Jahresumsatz. Jede Division ist selbstverantwortlich und entscheidet eigenständig über Produktion, Produkte, Vertrieb und Personal. Entsprechend wird für jede Division eine eigene Bilanz erstellt.
Ein Beispiel ist die Nucor-Division in Hickman, Arkansas. Hier werden Bleche produziert, die zu Rohren für die Öl- und Gasindustrie verarbeitet werden. Anfang der 2010er Jahre erlebte die USA einen Fracking-Boom, und diese Division wurde zur wirtschaftlich erfolgreichsten bei Nucor. Ende 2014 brachen die Ölpreise ein, Fracking wurde unwirtschaftlich, und innerhalb weniger Wochen auch diese Division.
Was tun?
Eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe sammelte Ideen für neue Produkte von Mitarbeitern und Kunden. Zwei Ideen schienen besonders vielversprechend: Stahl für Elektromotoren und Autoteile. Mitarbeiter reisten um die Welt, um die benötigte Technik und Ausrüstung zu beschaffen. Ein anderes Team entwickelte einen Geschäftsplan, 230 Millionen Dollar für die Erweiterung des Betriebs, 2016 erteilte die Zentrale die Freigabe. Ja, den Pitch in der Zentrale übernahm die Divisionschefin, Mary Emily Slate, aber alle Ideen und die gesamte Vorbereitung kam ausschließlich von den Mitarbeitern – von den ganz normalen Beschäftigten der Division.
Und Nucor fördert nicht nur Mitarbeiterbeteiligung, Eigeninitiative und Entscheidungen "von unten". Das Unternehmen hat auch eine leistungsbezogene Vergütung eingeführt. Das heißt: Das Basiseinkommen beträgt rund 75% des üblichen Gehalts, ab 80% Auslastung gibt es leistungsabhängige Vergütungen auf Teamebene. Die Teams, bestehend aus 20 bis 30 Beschäftigten, sind für Arbeitsbereiche verantwortlich und unterstützen sich gegenseitig, um die Prämien zu maximieren.
Mit Prämien erreichen die Arbeiter etwa 125 % des industrietypischen Einkommens. Die Prämien basieren auf Produktionsergebnissen, sodass sich die Arbeiter auf gute Ergebnisse konzentrieren können, ohne sich um individuelle Anerkennung durch Vorgesetzte sorgen zu müssen.
Vielleicht ist hier eine Klarstellung sinnvoll: Humanokratie heißt, Steuerung oder Regelungen werden von Menschen übernommen und nicht von Vorschriften und Hierarchie. Humanokratie heißt nicht, dass das Unternehmen besonders human oder “freundlich“ ist. Humanokratie geht davon aus, dass Unternehmen (auch) betrieben werden, um Geld zu verdienen. Dass Beschäftigte in Unternehmen (auch) arbeiten, um Geld zu verdienen und Unternehmen wie auch Beschäftigte möchten gerne viel Geld verdienen. Dabei hilft, unproduktive Hierarchie und unnötige Bürokratie abzubauen. Dabei hilft auch, sinnvolle Produkte und Dienstleistungen anzubieten, die der Gesellschaft und den Menschen helfen. Sinnvolle Arbeit gibt weitere Motivation für die Beschäftigten – und sinnvolle Produkte oder Dienstleistungen helfen, ein Unternehmen gut in die Gesellschaft einzubinden.
Bei geringer Auslastung haben Beschäftigte freie Zeit, die sie nutzen, um Ideen für neue Produkte und mehr Aufträge zu entwickeln. Das Unternehmen wiederum hat weniger Personalkosten, was Kündigungen vermeidet. Konkret: Nucor hat keine Mitarbeitenden entlassen, während die Branche insgesamt zwischen 2000 und 2018 40 % der Belegschaft gekündigt hat.
Neue Mitarbeiter werden mit standardisierten Tests und Interviews eingestellt, wobei die letzte Entscheidung bei den zukünftigen Kollegen liegt. Erwartet wird die Bereitschaft, Neues zu lernen, und die Beschäftigten werden für mehrere Arbeitsplätze ausgebildet. Produktionsarbeiter erhalten beispielsweise eine Grundlagenschulung in Betriebswirtschaftslehre und Management. Mitarbeiter besuchen andere Arbeitsbereiche sowie Divisionen und erweitern so ihre Kenntnisse. Regelmäßige Mitarbeiterbefragungen ermitteln die Zufriedenheit mit den Führungskräften, für die eine negative Bewertung auch Konsequenzen hat.
Auch das zweite Konzept versucht, Agilität neu zu denken. In Philosophie und Kulturwissenschaft gibt es den Begriff der Postmoderne: Diese Strömung will die Errungenschaften der Moderne zwar nicht abschaffen oder zurück ins finstere Mittelalter, sie ist aber auch nicht zufrieden mit der Moderne. Sie möchte weiter gehen, weiter entwickeln – ohne dass schon klar ist, was genau der nächste Schritt ist. Daher hat sie auch noch keinen eigenen Namen, nur eben: Post Moderne, das, was nach der Moderne kommt.
So ähnlich funktioniert Postagiles Management: Natürlich bleiben dabei funktionierende Lösungen wichtig, natürlich sollen Kunden bedient und nicht nur Pläne abgearbeitet werden. Es gibt keinen Weg zurück in bürokratische und formalisierte vor-agile Arbeitsweisen. Was genau der nächste Schritt ist, ist auch in diesem Fall nicht ganz klar. Aktuell überzeugend ist für mich hier der Ansatz von Cal Newport, Informatiker und Bestseller-Autor, und sein kürzlich erschienenes Buch “Slow Productivity – Effizienz ohne Überlastung“. Seine Diagnose: Quantität wurde mit Qualität verwechselt, dann Quantität zur Steuerung verwendet, und nun fehlen wirklich solide, hoch qualitative Ergebnisse. Wie konnte es dazu kommen? Ausgangspunkt ist das Management.
Qualität zu messen ist schwer. Ich habe schon in vielen Jurys für "Das beste Ideenmanagement" gesessen und mitentschieden, ob Vorschläge gut waren. Dafür muss man das Ideenmanagement und den Vorschlag verstehen, die Ausgangslage und weitere Arbeiten kennen sowie Rahmenbedingungen und Entwicklungen nachvollziehen. Besonders schwierig ist das in Bereichen, in denen ich wenig Erfahrung habe. Viel einfacher ist es, Verbesserungsvorschläge zu zählen, das Controlling um eine Nutzenberechnung zu bitten und dies mit Benchmarking-Daten zu vergleichen. Daher habe ich noch nie eine Zielvorgabe für Ideenmanager gesehen wie: „Die Beschäftigten sollen mit Problemlösetechniken so qualifiziert werden, dass Vorschläge kommen, zu denen man nur eines sagen kann: Wow, das bringt uns wirklich voran!“ Nein, Zielvorgaben für Ideenmanager lauten stattdessen: x Prozent mehr Vorschläge, y Prozent mehr Nutzen.
Zwei Punkte sind klar:
Der PC entstand nicht durch einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess und viele Verbesserungsvorschläge. Für Energieerzeugung und Verkehr, für den Klimawandel, den demografischen Wandel und Fachkräftemangel sowie viele weitere Herausforderungen brauchen wir Lösungen in einer neuen Qualität. Das wiederum erfordert ein Management, das Qualität auch bewerten und steuern kann. Das ist die Herausforderung des postagilen Managements.
Konkrete Lösungen beschreibt Cal Newport vor allem auf der persönlichen Ebene. Wenn ich in meinem Leben mehr Qualität erzeugen und sehen möchte, dann zeigt “Slow Productivity“ Wege auf. Statt in hektische Betriebsamkeit zu verfallen, plädiert Newport für konzentriertes Arbeiten in einem natürlicheren Tempo. Er zeigt, wie man sich auf die wichtigsten Aufgaben fokussiert, digitalen Konsum reduziert und sinnvolle Ziele verfolgt.
Eben Qualität über Quantität. In einem Video habe ich dies auch nachgezeichnet. Für Unternehmen steht diese Entwicklung aus – dieser Blogbeitrag zum Ideenmanagement endet also nicht mit einer Lösung, nicht mit einem Rezept: Tun Sie dies, und alles wird gut. Der Beitrag endet damit, dass wir Neues entwickeln müssen – und wenn Sie Unternehmen im Allgemeinen und das Ideenmanagement im Besonderen in den letzten Jahren genauer beobachtet haben, dann wussten Sie das auch schon längst.
Gary Hamel, Michele Zanini: Humanocrcy (https://youtu.be/xhxsOz2IqaA)
Masaaki Imai: Kaizen (https://youtu.be/swcxlCDz-Uk)
Jake Knapp: Sprint (https://youtu.be/vHoiJlk15-U?si=L7LBhRSIybBEc6HS)
Nils Landmann, Hans-Dieter Schat: Ideenmanagement Studie 2023:
https://ideenmanagement-studie.de/ (https://www.youtube.com/watch?v=QQrrtuDqNeI&list=PLrRlU9KVi0zZvrGZATjXFnUxhlSKY6EfB )
Manifest für Agile Softwareentwicklung: https://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html
Cal Newport: Slow Productivity (https://youtu.be/dDWromkQwLM )