In Zeiten des Arbeitskräftemangels können Unternehmen nur froh und dankbar sein, wenn sie von ihren Mitarbeitern Vorschläge bekommen, wie die Arbeitgeberattraktivität erhöht werden kann. Denkt man. Stattdessen werden entsprechende Ideen oft als „Schöner Wohnen“ diffamiert und die Möglichkeit, dass sie dort vorgebracht werden können, dem Ideenmanagement als Nachteil angerechnet. Hier versuche ich eine (zugegeben: polemische) Ehrenrettung.
Erinnern Sie sich noch: Die Medien waren des Gejammers voll, dass die Wirtschaftsleistung bedroht ist, weil nicht nur Fachkräfte, sondern überhaupt Arbeitskräfte fehlen. Im verzweifelten Bemühen, Nachwuchs zu gewinnen, gingen Unternehmen soweit, jedem Azubi zum Start mindestens ein Tablet zu schenken oder den Führerschein zu bezahlen. Den Neuen wurden Wohltaten angeboten, dass altgediente Mitarbeiter vor Neid und Eifersucht nur gelb werden konnten.
Arbeitgeberattraktivität wurde zur Chefsache mit strategischer Bedeutung erklärt und Budgets zur Entwicklung der Arbeitgebermarke bereitgestellt. Mancherorts wurden externe Berater oder interne Abteilungen damit beschäftigt, die Mitarbeiter zu befragen, wie das Unternehmen seine Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen könne. Immerhin ein guter Ansatz! Außer Acht gelassen wurde meist, dass es schon längst ein Instrument gibt, das laufend Hinweise auf Verbesserungspotenziale auch für Wohlfühlfaktoren von Mitarbeitern liefert. Schlimmer noch: Wenn dieses Instrument Anregungen lieferte, die „nur“ zur Steigerung des Wohlgefühls beitragen, dann wurden sie als „Schöner Wohnen“ Vorschläge abgewertet und diffamiert.
Keine Frage: Wenn Sparzwang herrscht, Kurzarbeit stattfindet oder gar Personal abgebaut werden muss, gibt es andere Prioritäten, als das Arbeiten im Unternehmen angenehmer zu machen. Dann muss man entsprechende Vorschläge eben ablehnen, und zwar schlichtweg deshalb, weil das Geld für die Umsetzung fehlt. Worum es mir geht, ist nicht die Frage, ob „Schöner Wohnen“-Vorschläge umgesetzt werden sollen oder nicht, sondern die Frage, mit welcher Haltung sie grundsätzlich willkommen geheißen oder verächtlich abgetan werden.
Alle folgenden Beispiele wurden umgesetzt. Die Entscheider in den jeweiligen Unternehmen bewerteten den Nutzen der Umsetzung als hoch genug, und die Mittel dazu waren vorhanden.
1. Was halten Sie von folgenden Vorschlägen: In dem einen Unternehmen wurde vorgeschlagen, für jede Abteilung Regenschirme zu beschaffen, damit Mitarbeiter bei Wegen zwischen verschiedenen Firmengebäuden nicht nass werden. In einem anderen Unternehmen wurde zum gleichen Zweck vorgeschlagen, einen Teil der Knirpse, die in großer Menge als mit dem Firmenlogo verzierte Präsente für Kunden bereits vorhanden waren, an Ein- bzw. Ausgängen bereitzustellen.
2. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Im Aufenthaltsraum im vierten Stock steht ein Kaffeeautomat, aber kein Trinkwasserspender. Der steht dafür in einem Büro im Erdgeschoss. Da für den Kaffeeautomaten bereits ein Wasseranschluss vorhanden ist, wurde vorgeschlagen, ein T-Stück einzubauen und neben dem Kaffeeautomaten einen Trinkwasserspender zu stellen, um die Wegezeit über vier Stockwerke zu ersparen.
3. Dagegen lässt sich bei einem Wasserspender, der in einem anderen Unternehmen infolge eines Vorschlags installiert wurde, zumindest der Vorwurf maßlosen Eigennutzes nicht erheben. Hier fiel einer Mitarbeiterin auf, dass es am Empfang keine Informationen zum eigenen Unternehmen in Papierform gab. Stattdessen lagen an den Sitzecken Prospekte zur Betreuung pflegebedürftiger Angehöriger, die Immowelt, Pizza-Lieferservice-Flyer und der „Hendlalarm“ vom Wienerwald aus. Für Besucher, die etwas länger warten mussten, gab es zudem keine Getränke. Infolge des Vorschlags wurde der ganze Bereich freundlicher gestaltet. Die Flyer wurden auf Betreiben der Einreicherin sauber in neuen Ständern untergebracht, der Flyer zum Altenheim entfernt und ein Wasserspender aufgestellt.
4. Doch was soll nun das in einem Empfangsbereich: In einem seit mehreren Generationen inhabergeführten, mittelständischen Familienunternehmen wurde vorgeschlagen, eine Pinwand im Eingangsfoyer bereitzustellen, an der stolze, frischgebackene Eltern Fotos ihrer Neugeborenen für jeden sichtbar plazieren können.
5. Es geht weiter: In einem Unternehmen schlug ein Azubi vor, im Aufenthaltsraum oberhalb der Garderobe ein Regal anzubringen, um darauf Taschen, Fahrradhelme und anderes ablegen zu können, was bisher immer auf den Kühlschrank gelegt worden war. In einem anderen Unternehmen schlug ein Azubi vor, auch die Azubi-Schreibtische mit Rollcontainern zu versehen, damit dort Büromaterial und persönliche Dinge verwahrt werden können, weil dadurch, dass die Azubi-Arbeitsplätze keinen zusätzlichen Stauraum aufweisen, sonst schnell Chaos entsteht.
6. Ein letztes Beispiel: Vorgeschlagen wurde, in der Kantine und in der Cafeteria einige Tische mit Aufklebern und Aufstellern zu versehen, um sie als „Buddy Bench“ zu kennzeichnen. Wer sich hier hinsetzt, signalisiert sein Interesse, mit Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch zu kommen und sich zu vernetzen. Damit sollen neuen Mitarbeitern der Einstieg und die Identifikation erleichtert und generell positive Impulse für Zusammenhalt und Zusammenarbeit ausgelöst werden.
Aus Unternehmensleitungen und oberen Führungsebenen höre ich immer wieder Klagen, Mitarbeiter würden zu Hause oder bei Freizeitaktivitäten viel mehr Kompetenzen entfalten und Einsatz zeigen als bei ihrer Arbeit. Wie wertvoll es für das Unternehmen doch wäre, wenn Mitarbeiter mehr von dem einbrächten, was sie im Privaten könnten. Doch wenn Mitarbeiter genau das tun und im Unternehmen Dinge vorschlagen, als wären sie dort zu Hause, ist das auch wieder nicht recht. Dann wird darüber ebenso gelästert, wie man über anderer Leute Vorgärten oder Einrichtungen lästert, von denen man sich (ganz unabhängig vom Qualifikations- und Einkommensniveau der Besitzer!) ja häufig genug nur schaudernd abwendet …
Aus meiner Sicht hängen die hier angedeuteten Diskussionen mit der für die Strategie des Ideenmanagements zu klärenden Frage zusammen, ob die „Mission“ des Ideenmanagements nur im Erzielen eines „direkten Nutzens“ besteht, oder ob auch der „indirekte Nutzen“ zählt (mehr dazu in den Blogbeiträgen „Vom Nutzen des Ideenmanagements: Mehr als (nur) Einsparungen!“ und „Wie Sie Ihr Ideenmanagement in 7 Schritten strategisch ausrichten“). Wer meint, dass nur die Ideen benötigt werden, die unmittelbar echte finanzielle Einsparungen bewirken, messbar die Produktivität erhöhen oder dank ihres disruptiven Innovationsgehalts zukünftige Millionengewinne ermöglichen – was, wie bereits gesagt, in manchen Situationen eine durchaus vertretbare Ansage sein kann (die dann allerdings dementsprechend klar kommuniziert werden muss!) – verschenkt die wesentlich weitergehenden Potenziale des Ideenmanagements, die darin bestehen, Mitarbeitern einen institutionalisierten Kanal anzubieten, über den sie sich auch mit ihre eigenen Belange betreffenden Themen einbringen können und ein wertschätzendes Feedback auf Augenhöhe selbst dann erhalten, wenn ihre Idee nicht umgesetzt wird.
So: Schönes Verbessern!
Ein nach Stichworten sortiertes Verzeichnis mit Links auf alle bisher erschienenen Beiträge im Blog zum Ideenmanagement finden Sie in diesem Register.